Kiwis ohne Haare
Kiwis ohne Haare Und ich sagte ihm auch noch: Tu es nicht, du weißt nie, wie das Zeug wirkt und was am Ende dabei herauskommt. Und wie immer hatte ich Recht. Jetzt sitze ich auf der Polizeiwache am Sophie-Charlotte-Platz in Charlottenburg und warte, dass sie ihn wieder herausführen. Der Polizeibeamte hat mir vorhin schon so einen ganz bösen Blick zugeworfen und das obwohl ich ja mit der Sache nichts, aber auch gar nichts zu tun habe. Ich bin ja schließlich auch nicht sein Kindermädchen. Eigentlich wollte ich mich mit Oleg Brodjaga (ОЛЕГ БРОДЯГА) treffen, um irgendwo in einem Biergarten die Sonne zu genießen, ein, zwei kühle Pils zu trinken und mir wieder seine neuesten superdreckigen Witze erzählen zu lassen, das kann er nämlich überaus gut. Er hebt dann beschwichtigend seinen linken Zeigefinger und klopft mit der rechten Hand auf den Tisch, dass ein wenig Bier überschwappt, dann fragt er in seinem breiten russischen Akzent mit einer deutlichen Spur von Ernsthaftigkeit in der Stimme: „Was chaben eine Muschi und ein Rasenmäher gemeinsam?“ „Ja, keine Ahnung ?!“ „Wenn man abrutscht, ist der Fin-ger im Arsch!“ So ist Oleg. Ursprünglich kommt er aus dem östlichsten Teil Russlands, aus der Nähe von Wladiwostok, also nicht weit entfernt von Japan. Unter mysteriösen Umständen, über die er auch nicht das Geringste erzählt, kam er Mitte der neunziger Jahre nach Deutschland, um zunächst in Ostberlin gefälschte polnische Damenunterwäsche zu verkaufen. Jetzt ist er immer noch im Handel tätig, aber die Art Ware wechselt monatlich. Je nachdem, was gerade vom Lastwagen gefallen ist. Nun eigentlich wollten wir etwas chillen, wir waren schon im Tiergarten und der Biergarten war vielleicht nur 300 Meter entfernt, als er von der Seite von einem dubiosen Drogendealer angesprochen wurde, ob er vielleicht diese neue Pille ausprobieren möchte. Ich schüttelte den Kopf und wollte so schnell wie möglich weg, doch Oleg blieb stehen und gab ihm zehn Euro. Der Dealer erklärte, die Pille habe ein unheimlich intensives Wirkungsspektrum, nur muss man höllisch aufpassen, weil es gravierende Wechsel- und Nebenwirkungen mit.... Oleg schmiß die Pille ein, ignorierte sein Gerede und kam zurück zu mir. „Man lebt nur einmal. Und ich möchte etwas erleben cheute: Es wird schon werden!“ „Weißt du überhaupt, was du genommen hast? Da kann doch jeder Scheiß drinne sein!“ „Aber der Typ war seriös.“ Während wir weitergingen, drehte ich mich noch einmal um. Der Dealer reinigte sich gerade seine Fingernägel erst mit einem Schraubenzieher und für die Feinheiten nahm er dann ein Messer. „Seriös sagst du?“ „Ach, du bist viel zu spießig.“ Dann waren wir auch schon in der Kneipe. Wir setzten uns auf eine Bank der Biergartengarnitur und bestellten bei der hübschen Kellnerin mit dem tiefen Dekolletee zwei Bier. Das Zeug, so bildete ich mir ein, schien schon bei Oleg zu wirken, seine Pupillen wurden kleiner und kleiner, aber vielleicht lag es auch an der Sonneneinstrahlung. Er merkte, dass ich seine Augen beobachtete und setzte sich lächelnd seine Sonnenbrille auf. „Das Leben ist schön. Komm, wir trinken noch einen.“ Und wir tranken und plauderten und schon bald hatte ich vergessen, dass er vermeintlich unter Drogeneinfluss stand. Bis zum dritten Bier. Die hübsche Kellnerin nahm gerade unsere Bestellung auf, hob unsere leeren Gläser hoch und wischte die Bierpfützen vom Tisch, die wir beim Anstoßen hinterlassen hatten, als Oleg fragte: „Wie cheißt du, mein schönes Kind?“ Sie lächelte verlegen. „Ich? Ich heiße Maria.“ „Maria? Ein sehr schöner Name. Komm, trink mit uns, auf diesen Nachmittag.“ „Aber ich muss doch arbeiten.“ „Ach Arbeit! In Russland es ist unhöflich, wenn jemand ablehnt eine Einladung.“ „Aber wenn meine Chefin was sieht, bin ich raus.“ „Deine Chefin wird schon nichts merken. Ich bin Oleg, das ist Robsen.“ Sie setzte sich zu uns. „Ich bleibe aber nur mal kurz sitzen, dann muss ich weiter.“ Während Oleg sie ausfragte, hielt ich mich eher zurück. Es war mir auch ein wenig unangenehm. Aber Oleg fuhr fort. Mit einem Male und aus heiterem Himmel wandte er sich ihr zu und fragte: „Choczesch jebaza? (ХОЧЕШ ЕБАЦА?, Willst du ficken?) Mir fiel die Kinnlade nach unten, aber sie verstand kein Russisch und blinzelte nur irritiert mit den Augen. „Wie bitte?“ Oleg streckte sich. „Weißt du, ich chabe so große Genitalien, wenn ich liege am Strand und lasse mich einbuddeln, die Leute denken, jemand chat liegengelassen zwei Kokosnüsse und ein Didgeridoo.“ Die Antwort darauf kam auch prompt in Form einer Ohrfeige, woraufhin sie in die Kneipe zurückging. Oleg lächelte immer noch, er schien ja wohl nicht einmal die Schelle mitbekommen zu haben. „Lass uns lieber gehen“, sagte ich und endlich tat er mal, was ihm sagte, wenn es angebracht war. Wir gingen durch den Tiergarten und meine Blase meldete sich unter übelstem Druck. „Oleg, ich geh mal schnell hinter den Busch pinkeln, ich bin gleich wieder da.“ - „Ich warte hier“ Es war ein Fehler zu gehen, denn als ich wiederkam, war er weg. Ihn zu suchen, wäre sinnlos angesichts der Größe des Tiergartens und so ging ich nach Hause, in der Hoffnung, dass er sich noch einmal per Handy melden würde. Per Handy meldete sich auch jemand, nur war es fünf Stunden später und statt Oleg war Polizeiwachtmeister Schulze an der anderen Leitung und fragte mich, ob ich einen Oleg Brodjaga kennen würde. Es ereignete sich so: Nachdem er noch im Tiergarten Enten gejagt hatte und dabei einen Radfahrer in einen Teich stieß, ging Oleg in Richtung Bahnhof Zoo, auf dem Weg dahin sang er Bauernlieder aus seiner alten Heimat. Bis jetzt nichts, was in Berlin ungewöhnlich wäre. Auch, dass er Touristen grundlos beleidigte, war für Oleg normal. Aber Schlag auf Schlag muss die Chemie wohl stark etwas in seinem Hirn verändert haben. Am Bahnhof Zoo kaufte er Zigaretten und die Verkäuferin schien wohl nicht so ganz freundlich zu ihm gewesen zu sein, denn er setzte die Sonnenbrille ab und fragte: „Chey! Wo chast du deinen Besen, du bist doch Hexe Babajaga, oder?“ Er wurde des Ladens verwiesen und trottete zum Ullrich-Supermarkt, wo das Fiasko erst richtig losging. Mit aufgeknöpftem Hemd seine Brustbehaarung präsentierend schritt er singend durch die Gänge. Vor den Weinregalen fiel er auf die Knie, betete den Alkohol an und rief laut: „Die Fuselchaftigkeit des Lebens!“ Dann probierte er ohne Furcht, Tadel oder Skrupel diverse Weinsorten durch und ich frage mich wirklich, wie er das geschafft hat, ohne dass jemand etwas mitbekommt. Sie haben ihn erst in vorläufige Sicherheitsverwahrung genommen, als er Präservative über die Gurken zog und mit einem gestohlenen Einwegrasierer die Kiwis rasierte. Ich musste zweimal beim Wachtmeister nachfragen, weil das ja nun wirklich außerhalb meiner Vorstellungskraft lag, aber ja, wurde mir versichert, er rasierte jede Kiwi einzeln mit äußerster Präzision. Wie es weiterging, fragte ich den Polizisten. Ja, dass dort öfter mal Spinner oder Fuselbrüder auftauchen, gehört ja zum normalen Alltag der Ullrich-Filiale am Zoo. Aber dass ein erwachsener Russe mitten auf dem Gang versucht, ein Grillfeuer zu legen, das ist selbst den Veteraninnen unter den Verkäuferinnen noch nicht passiert. Oleg wurde dann von vier Sicherheitsleuten überwältigt, die selbst mit vereinten Kräften noch Mühe hatten, ihn zu bändigen. Die Polizei kam dann auch recht schnell und Oleg landete in der Zelle. „Ja und nun?“, fragte ich. - „Ja und nun holen Sie ihn gefälligst da ab“, sagte der Polizist an der anderen Leitung. „Ich weiß ja nicht, was Sie so den Nachmittag über gemacht haben, aber dieser unheimliche Mann scheint eindeutig dem Betäubungsmittelgesetz nach verbotene Substanzen eingenommen zu haben. Wir erwarten Sie in einer Stunde.“ Tuten. Ich saß dann am Fensterbrett, rauchte eine Zigarette und dachte mir, das kann doch jetzt nicht wahr sein! Das kann doch jetzt wirklich nicht wahr sein. Schnell noch die Zähne geputzt, denn eine Bierfahne auf dem Revier würde die jetzige Situation bestimmt nicht begünstigen. Die Tür eines Büros geht auf, ein dicker Polizist, mit Walroßbart und einer runden Brille auf der Nase, seine Mütze ist etwas verrutscht und der Bierbauch hängt über dem Gürtel, aber sein hellbeiges Hemd ist fein säuberlich in die Hose gestopft, er tritt auf den Gang und weist mich an, ihm zu folgen. Während ich hinter ihm laufe, versuche ich wirklich nur auf das Berliner Wappen auf seinem Oberarm zu starren. Das Linoleum quietscht unter unseren Sohlen, während wir den schmalen Gang mit beidseitigen Türreihen, die mit einem massiven Riegel versperrt und deren Fenster durch Gitter und Schiebetürchen abgeschottet sind, entlangschreiten und je näher wir dem Ende kommen, desto lauter werden die traurigen und melancholischen Gesänge, die mit tiefer Stimme vorgetragen werden und deren Inhalte sich wahrscheinlich um die Sehnsucht nach der weiten Steppe, dem ewigen Eis und weitentlanggezogenen Birkenhainen drehen. Der Polizist nimmt einen großen Schlüsselring von seinem Gürtelbund und während er den Schlüssel sucht, sagt er ohne mich anzublicken: „Jetzt isser Ihr Problem, des wissen Se, wa? Passen Se ja uff, wir ham keen Bock noch mal wejem dem Bolschewiken auszerücken.“ Über die letzte Aüßerung war ich empört, doch ein Wutausbruch meinerseits würde nur dazu führen, dass ich in ein paar Minuten da drinnen zusammen mit Oleg singen könnte. „Herr Brodjaga, packen Se Ihr Zeuch. Der Herr Hoffmann nimmt Se jetz mit. Aber Se hörn bald von uns. Oleg packt Sonnenbrille und Jacke und ich denke, dass sie ihm entweder was gegeben haben oder dass er langsam runterkommt. Vorne unterschreibe ich noch so einen Zettel und in wenigen Minuten sitzen wir schon an einem kleinen Park. Oleg allerdings setzte sich so seltsam hin, so gebückt, zusammengekauert, fast wie unter Schmerzen. „Hast du nun endlich was gelernt?“ Er nickt bedächtig ein paar Mal, bevor er sich äußert: „Jaja, der Fusel ist ganz große Scheiße zusammen mit die Tabletten.“ „Dass du aber noch nicht einmal weißt, was du genommen hast. Alter, das hätte böse enden können. Und was sollte der Scheiß im Supermarkt? Die Leute halten dich doch jetzt für geisteskrank!“ - „Ach da kennt mich doch keine Sau mehr morgen. Mir war mal danach.“ „Ach dir war mal danach? Dir war mal danach, Kiwis zu rasieren?“ Jetzt grinst er: „Weißt du, wenn wir gehen auf ein Party in zwei Wochen, ich kann erzählen eine Geschichte und mitnehmen die Frauen und du nicht.“ Hmm, wenn er das so sieht. „Wie du meinst. Und was sollen wir jetzt machen?“ „Weiß nicht, vielleicht irgendwo hingehen. Aber vorher ich muss auf Klo. Ich weiß nicht warum, aber aus irgendeinem Grund ich chabe einen unheimlichen Steifen.“ Ich sagte dann erst mal gar nichts mehr und wir stiegen in die U-Bahn. Ich habe dann noch den ganzen Tag darüber gegrübelt, ob er das gemeint haben könnte, was ich als einzige Erklärung in Betracht gezogen habe. Aber manchmal gibt es Dinge, von denen man besser nicht wissen will, warum sie jemand tut. Und ich habe gelernt, dass man immer den „Beipackzettel“ oder den sogenannten „Apotheker“ fragen sollte, bevor man ein sogenanntes Medikament nimmt. |