A-n-n-e
Ich glaube, es war kurz nachdem ich mein fünfzehntes Lebensjahr angetreten hatte, als ich mir mit dem Küchenmesser - meiner damals noch kochwütigen Mutter - die Pulsadern auftrennte. Metzgergleich schnitt ich - quer - knapp vor meinem Handgelenk in die noch feine Haut hinein. Siebenmal tat ich dies - sieben war zu der Zeit meine Lieblingszahl - müsst Ihr wissen.
Meine Mutter fand mich halb im Koma - blutverschmiert - da ich mir den Spaß erlaubt hatte, meinen Körper von Kopf bis Fuß damit einzureiben - damit der Effekt besser sei - auf dem kalten Fliesen des Küchenbodens.
In der Klinik versorgt und gehegt - wie ein zerbrechliches Ei - verheilten die Wunden trotz der Verbände nur schlecht, da ich sie immer wieder ablegte um meine Tat zu betrachten. Daraufhin wurde mir schließlich mein Walkman abgenommen und der Verband angeklebt, statt ihn nur mit Sicherheitsklammern zu befestigen.
Der Psychiater, der trotz Widerwillen meiner Mutter, täglich mein Bett besuchte, roch nach gutem Aftershave und trug eine kleine Brille - ähnlich wie John Lennon. Da ich ihm nicht meinem Seelenschmerz anvertrauen wollte, erzählte er mir ständig von meinen möglichen Leiden, von denen ich mir nur eines aussuchen sollte - kam mir vor wie in einem Süßigkeitenlädchen, in dem es darum geht den leckersten Fund zu machen.
Eines Nachts, als ich anscheinend wie am Spieß schrie, wurde ich von einer Schwester geweckt. Was denn los sei, ob ich Alpträume hätte, fragte sie. In Erinnerung blieb mir nur das Bild meines Vaters, der mit 58 Jahren - er war zehn Jahre älter als meine Mutter - an einem Autounfall - selbst verschuldet und alkoholisiert - verstorben war.
Der Psychiater, Herr Klaus, Peter Klaus - ich nannte ihn immer Klaus, du altes Scheißhaus oder Klaus, die Labormaus - aufgrund seiner Brille - was er gar nicht witzig fand - behauptete, ich hätte ein frühkindliches Trauma erlitten und sei daher - mein zweiter Suizid in der Badewanne war gerade eine Woche her - so ungemein todessüchtig.
Ich fragte ihn, ob er sich schon einmal das Leben hätte nehmen wollen und bekam keine Antwort - jedenfalls keine richtige - nur so bla bla von wegen mal darüber nachgedacht, aber nie getan usw. .
Daher kannte er auch das unbeschreibliche Gefühl nicht, welches mich knapp vorm Abkratzen überkommt. Dieses absolute Glücksgefühl - der Druck - die Angst - alles weg - futschikado - nur noch den absoluten Moment erleben, die Seele im Körper spüren, der mit aller Kraft versucht diese zu halten und dann macht es platsch und du bist weg.
Besser als jede Droge - und Ihr müsst mir glauben da kenne ich mich aus - lässt dieses Nahtoterlebnis jeden Schmerz in Euch erlischen.
Der dritte Versuch wäre mir fast geglückt. Noch während meines Aufenthalts in der Kinder- und Jugendpsychiatrie - ja, mittlerweile war ich dort angekommen - hatte ich aufgrund meines tadellosen Benehmens - Ärzte sind so leicht zu täuschen - die Möglichkeit, einen Ausflug in die nahe Stadt zu machen. Obwohl ich in ständiger Begleitung meiner depressiven Bettnachbarin war, gelang es mir, eine kleine Glasscherbe unbemerkt in die Geschlossene zu schmuggeln.
Nachts - das unregelmäßige Schnarchen meiner schlafenden Leidensgenossin namens Susi Metzger - wie passend - raubte mir fast täglich - oder sagt man nächtlich - den Schlaf, hatte ich die Scherbe schon zehn mal über meine nackte, vernarbte Unterseite meines linken Arms ratschen lassen, als das Licht der Kontrolle anging.
Ich verschwand - hellwach, aber schnarchend wie die Metzger - unter meine Decke.