An jedem Tag
An jedem Tag kam zu uns ein Mädchen; sie war ein seltsames Geschöpf. Denn obwohl sie immer die Gleiche blieb, war sie von Zeit zu Zeit eine Andere, während sich alles um sie herum wandelte blieb sie doch immer die Selbe.
Zumeist war sie nicht zu sehen, so dass nicht selten Uneinigkeit herrschte, ob sie noch da sei oder schon wieder fort war. Sie las uns jeden Wunsch von den Lippen ab und machte alles für uns, in einer stillen, leidenden, niemals jedoch vorwurfsvollen oder gar ungehaltenen Art. Darüber konnte man der Ansicht verfallen, dass sie uns besonders nahe stünde; doch dies zu glauben wäre mit Sicherheit äußerst falsch.
Im Gegenteil, man konnte in kaum entfernteren Verhältnis zueinander stehen; zumeist wussten wir ja nicht einmal ihren Namen, von denen sie viele besaß, aber immer nur einen zurzeit verwendete. Des Weiteren kannte ihr Haar die verschiedensten Färbungen. Lange Zeit war es schwarz und glänzte wie poliertes Holz, dann wurde es gelb wie Weizen und schließlich fast weiß, wie von der Sonne ausgebrannt.
Mit Sicherheit könnte man auf das fortschreitende Alter als Schuldigen verweisen, doch dem war nicht so; gehörte es doch zu ihren ganz wesentlichen Eigenschaften immer Jung zu sein, wo wir anderen doch älter wurden. Dementsprechend überraschte sie uns auch eines Tages, nachdem ihr Haar schon sehr Hell geworden war, wieder mit einem tiefen Braun, wie von Kastanien, und behielt diese Farbe in der Folge auch lange bei, als ob es von Anfang an ihre liebste gewesen wäre.
Noch deutlicher sah man ihre Besonderheit an ihren Augen, von denen man ja erwarten durfte, dass ihnen die Zeit nichts anhaben konnte. Doch auch diese wandelten sich; besonders eindringlich wird mir immer das lichte Braun in Erinnerung bleiben, in dem kleine Goldflimmer blitzten, sobald die Sonne es bestrahlte; doch einmal hatte sie auch Smaragde wie eine Katze und zuweilen wurden ihre Augen wasserklar.
Ihre Haut befand sich zumeist in Harmonie zu diesen Färbungen, doch manchmal erfreute sie uns auch mit erstaunlichen Gegensätzen. Zu der Zeit da sie ihre hellste, wie dünnstes Porzellan gehauchte Haut, zu ihrem glättesten, schwärzesten Haar auftrug, war ihre Schönheit für uns und jeden Besucher schmerzhaft und kaum zu ertragen.
So verging die Zeit und während wir älter wurden blieb sie jung; wo wir uns wandelten blieb sie die Gleiche obwohl sie doch immer anders war. Das war das Mädchen das jeden Tag zu uns kam; sie war ein seltsames Geschöpf.