Das peinliche Geräusch einer Orange
Mit strengem Blick saß sie ihm gegenüber. Jede ihrer Haarspitzen fauchte ihn an. Als ob es Schlangen wären, die ihrem Angreifer zeigen wollen, was ihm blüht wenn er noch einen kleinen Schritt näher kommt. Das Büro war hingegen freundlich. Sonnendurchflutet hell. Es war kurz vor elf und es waren nur drei Leute im Büro.
„Also, Herr Kaminski.“
Sie begann das Gespräch.
„Was denken sie denn, wie wir uns am besten einigen können.“
Es war nicht mal der Ansatz einer Frage in diesem Satz zu erkennen, denn die Antwort war für sie schon klar. Und so konnte sie die Antwort auch gleich selbst geben.
„Ich denke, dass sich für dieses Projekt eine doppelte Führungsspitze als ungeeignet erweisen würde. Dafür ist doch die Anzahl des involvierten Personals viel zu gering.“
Während sie sprach, schaute sie ihm die ganze Zeit direkt und kalt in die Augen. Ihre Augen bohrten sich durch sein Gesicht und brannten tiefe Löcher hinein. Nach dem sie fertig gesprochen hatte und das zustimmende Nicken des Abteilungsleiters in ihren Augenwinkel vernommen hatte, spitzten sich ihre Mundwinkeln zu dem widerlichsten Lächeln, dass er je gesehen hatte. Es war unecht und hinterhältig und nur er konnte es sehen. Er hätte nie gedacht wie hässlich eine Person werden kann, wenn sie auf den ersten Blick schön erscheint.
Jetzt sah sie ihre Chance zu seinem Niedergang. Und die Schlange hatte Lust zuzubeißen.
„Ich möchte ihre Arbeit nicht abwerten:..“
Diese Krähe schreckt wirklich vor nichts zurück, dachte er.
„Aber seien wir doch ehrlich…“
Dann müsste ich dir jetzt deinen verlogenen Kopf abschlagen, dachte Herr Kaminski.
„Durch meine Arbeit in der PR-Abteilung von Tusson-Electro, dem zweitgrößten Elektrowaren Hersteller auf dem Markt, habe ich ähnliche Projekte schon öfter betreuen können und kann dadurch einen Reibungslosen Ablauf garantieren.“
Den letzten Satz widmete sie mit souverän eingeübter Freundlichkeit dem Abteilungsleiter. Der nickte erneut und dachte dabei wahrscheinlich an die letzten Quartalszahlen von Tusson und die schwachen Zahlen seiner Abteilung. Wenn Herr Kaminski diese falsche Jean d’Arc aus der Hölle und ihren wahnwitzigen Kreuzzug gegen seine eigene Person noch stoppen wollte, bevor sie sich selbst einen Heiligenschein aufsetzte, musste er jetzt handeln.
„Ich weiß, dass ich bisher noch nicht mit einem Projekt dieser Größe vertraut war.“
Er war noch nicht mal bis zum „aber“ gekommen, da hakte sie schon wieder ein. „Aber genau hier sollten wir auf Erfahrung setzen. Unser Kunde erwartet Topleistungen und termingerechte Ablieferung.“
Jean d’Arc war kampfbereit und lies die Klinge blitzen. Er musste jetzt handeln um nicht völlig gedemütigt vom Schlachtfeld zu ziehen. Der Kampf war echt und seine Streitkräfte kurz vor dem Rückzug, im Angesicht dieser Übermächtigen Krähe mit Schlangenhaaren und geklautem Heiligenschein. Die Taktik musste geändert werden und um Zeit zu schinden, versuchte er den Schiedsrichter einzubinden.
„Herr Schröder, wie sie wissen arbeite ich jetzt schon seit über acht Jahren in dieser Firma und ich denke das… Nein! Ich weiß einfach alles über diese Firma, um sie angemessen und erfolgreich im Gespräch mit Geschäftspartnern zu vertreten. Dazu kommt, dass ich dieses Projekt von der ersten Minute an begleitet hab. Ich habe es überhaupt erst dahin gebracht, wo es jetzt ist.“
Jetzt meldeten ihre Schlangensensoren Alarm und sie plante ihrerseits den Gegenangriff.
„Und dafür sind wir ihnen ja auch dankbar, aber jetzt ist der richtige Zeitpunkt, dass sie ihre Arbeit an jemand Fähigeren abgeben.“
„Und das sollen ausgerechnet sie sein?“ Er machte die Schlacht jetzt zum Faustkampf, denn sie schlug jetzt auch ohne Bandagen auf ihn ein. Der Kampf wurde hässlich. Mann gegen Unwesen. Ihre Augen blitzten in offener Verachtung. Diesen Angriff wollte sie nicht auf sich sitzen lassen und das Blut kochte in ihr. Jeden Moment würden die Schlangenhaare Säure aus ihren Mäulern spucken.
„Herr Kaminski, Frau Dietrich ich bitte sie. Streit bringt uns jetzt nicht weiter.“ Der Schiedsrichter schritt jetzt ein.
„Es geht um viel und deswegen möchte ich das Beste für unsere Firma. Ihre Standpunkte sind mir klar.“ Abteilungsleiter Schröder atmete tief durch.
“Normalerweise würde ich eine gemeinsame Projektvertretung vorschlagen. Aber irgendwann in den letzten zwei Stunden ist mir bewusst geworden, dass sie beide auf keinen Fall miteinander auskommen würden. Ich weiß wirklich nicht was zwischen ihnen beiden vorgefallen ist und das will ich ehrlich gesagt auch nicht wissen!
Tusson hängt uns immer weiter ab und wir müssen jetzt handeln, sonst stehen uns bittere Zeiten voraus.“
Die Kämpfer wussten, dass jeden Moment ein Urteil gesprochen wurde. Das Unausweichliche, das einen von beiden zum Verlierer erklären würde, der zusehen musste wie der Sieger triumphierend abzog. Die Spannung wurde groß.
„In Anbetracht ihrer Erfahrung, ihres Umgangs mit Partnern und auch wegen ihres Ehrgeizes werden sie das Projekt ab jetzt koordinieren.“
Der Moment der Wahrheit war gekommen. Herr Kaminski schloss seine Augen und hoffte.
„…Frau Dietrich!“
Er hatte vergeblich gehofft. Er fühlte sich wie der Anführer aller Truppen des Guten, dem gerade der Schwertarm abgeschlagen wurde. Sein Herz wollte kämpfen. Aber beim Anblick der entsetzten Gesichter seiner Soldaten, wusste er, dass diese Schlacht geschlagen war. Da half auch das halbherzige „tut mir leid, Hannes“, aus dem Mund des Abteilungsleiters nichts mehr. Die Krähe flog erfreut davon und kümmerte sich nicht mehr um zerhackte Kadaver. Sie erkundigte sich gleich nach Details beim Abteilungsleiter und das Gespräch über den Angriff auf Tusson-Electro wurde jetzt unter vier Augen fortgesetzt. Ohne Hannes Kaminski.
Fassungslos blieb er auf dem Schlachtfeld zurück. Schwer verwundet auf dem Designerstuhl des Konferenzraumes. Die Sonne brannte unbarmherzig durch die Fenster. Mittagshitze. Wie hatte er es soweit kommen lassen? Er war das aufsteigende Talent der Abteilung gewesen. Hart arbeitend und von allen respektiert.
Dabei hätte er es von Anfang an wissen müssen. Die Anzeichen waren da, aber er hat sie großzügig übersehen. Schon bei den ersten Schritten durch die Büros hat diese Frau jeden hier gemustert und bewertet. Studentin auf den besten Universitäten war sie. Sie hatte Zeugnisse von wirklich angesehenen Firmen. Mit Mitte Dreißig war sie die jüngste Senior-Chefin. Sie war der neue Star der Firma und als erstes schritt sie ihr neues Revier ab. Sie erkannte schnell, welche Stellung Hannes Kaminski in der Abteilung hatte und das wollte sie für sich nutzen. Ihre Absichten konnte sie dabei nur schwer verheimlichen. Sie hatte sie ihm sogar frech auf die Nase gebunden. Das sie höhere Positionen im Blick hatte, als diese. Das sie nicht mit jedem befreundet sein muss, schließlich gibt es genug Menschen auf der Welt. Das man sich nehmen sollte was man kriegen kann, egal wie hoch der Preis dafür ist. Solange ihn andere bezahlen.
Das man sich seine Freunde nah halten soll, aber seine Feinde noch näher.
Sie war eine widerliche Kreatur ohne Moral oder Herz. Innerlich hohl und verrottet und dennoch hatte sie Erfolg. Sie wusste nichts über die Firma und es interessierte sie auch nicht. Sie wollte etwas sein, was sie nicht war. Sie leckte die Stiefel derer, die sie um ihre Stellung beneidete. Hatte sie diese Stiefel selbst an, trat sie die Menschen unter ihr, damit ins Gesicht. So heftig sie nur konnte. Es war einfach zum kotzen. Jetzt da er sie schon längst durchschaut hatte, wurde ihm die Lächerlichkeit dieser Person jeden Tag deutlicher. Je näher man sie betrachtete desto hässlicher wurde sie. Aknenarben wucherten unter dicker Schminke.
Er hatte die Gefahr erkannt, aber mit dem Feuer gespielt. Jetzt war er allein im Konferenzraum.
Am Ende sah er seine Schuld ein, die Gefahr erahnt aber mit dem Feuer gespielt zu haben. Wenn man nicht Skrupellos ist hat man Anstand. Und der Anstand, sie nicht vor allen Kollegen bloß dastehen zu lassen, war vor einer Woche sein Untergang gewesen. Beide sollten gemeinsam ein kleines Projekt erarbeiten, zum warm werden. Am Ende machte er alles und sie kam kurz vor der Präsentation um sich alles anzuschauen. Fragte nach den Details und bedankte sich artig. Bei der Präsentation wurde aus der Schüchternen die Wissende. Auf Fragen wusste sie sofort die Antworten. In Sätzen die von Kommas nur so gespickt waren und so hochtrabend aber sinnleer dem Fragendem um die Ohren geschlagen wurden, benebelte sie die Zuhörer. Zwar verstand niemand was sie sagte, aber es klang für alle überaus intelligent. Statt zu hinterfragen, was Frau Dietrich nun eigentlich gesagt hatte, begannen sie ihre selbstsichere Art der Präsentation zu bewundern.
Sie lies ihn schuften und erntete ausgeruht jede einzelne Lorbeere ohne auch nur mit einer Wimper zu zucken. Auf so einen Angriff war er nicht vorbereitet gewesen.
Jetzt hatte sie in kürzester Zeit den Job erhalten, auf den er seit Jahren zugearbeitet hatte. Er packte seine Sachen und verlies den Konferenzraum. Er brachte alles an seinen Schreibtisch und versuchte seine Gedanken zu ordnen. „Ich bin ein guter Mensch“, fiel ihm als erstes ein. „Irgendwann werden alle merken, was für sein Spiel sie treibt und dann wird sie auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Aber nicht zur Heiligen. Jean d’Arcs Geschichte wird extra für sie umgeschrieben werden müssen.“ Seine Gedanken waren voller Hass und Wut und Enttäuschung. Er musste sich ablenken und brauchte einen Kaffee. In der kleinen Kaffeeküche traf ihn der Schlag. Da stand sie. Allein in schimmernder Rüstung und feierte ihren Sieg. Das triumphierende Lächeln hätte er ihr am liebsten mit Stahlwolle aus dem Gesicht gewischt. Aber er versuchte ruhig zu bleiben und sich einen Kaffee zu machen. Er wollte diese Person einfach nur ignorieren. Die Kanne war leer. Jetzt musste er noch hier warten bis frischer Kaffee durchgelaufen war. Das Unwesen im Nacken.
„Wenn wir hier die Kaffeekanne leeren, setzen wir sofort neuen für die Kollegen an.“
Er konnte es sich nicht verkneifen patzig zu sein.
„Das hätte ich sofort gemacht,“ log sie, „Übrigens fand ich ihre Aussage vorhin sehr unangebracht.“
„Kennt diese Ketzerin denn kein Ende“, dachte Hannes, „Sie hat doch schon gesiegt. Jetzt will sie also Leichen schänden.“ Seine Finger krümmten sich, aber er unterdrückte jeden Anflug von Hass und dachte an Blumenwiesen im Frühling und baden am Baggersee. Aber es half nichts, denn sie wollte ein Exempel statuieren. Immer näher ging Frau Dietrich auf Hannes zu. Das was sie ihm jetzt sagen wollte, war nur für ihn bestimmt. Eine ganz persönliche Drohung.
„Wenn sie, Kaminski, hier nicht in nächster Zeit einen großen Bogen um mich machen, dann werden sie auch in den nächsten 8 Jahren keine Projekte leiten.“
Die Wut schäumte aus seinem geschunden Soldatenkörper und er packte sie beim Arm. Gerade wollte er sie zur Rede stellen. Ihr all seine Wut entgegenschleudern. Da lösten sich die Knöpfe ihrer Bluse. Er war erst wie erstart. Dann spürte er etwas fallen. Ihr Gesicht war erschrocken und eingefroren. Ein dumpfes ‚Plopp’ schlug auf die billigen weißen Küchenfliesen. Was war das für ein Geräusch? Er konnte es sich nicht erklären. Er schaute nach unten und war verblüfft. Eine frische Orange lag da. Strahlend schön. Auf Zellstoff und Watte. Und er verstand nicht warum diese Orange dort lag und woher sie kam. Er schaute sie an und wollte sehen was er mit seinem Ziehen an der Bluse angerichtet hatte. So sehr Frau Dietrich es auch wollte, sie konnte nicht verhindern, das Hannes Kaminski die zerrissene Bluse sah. Ihr BH war nur auf der linken Seite gefüllt. Hinter der anderen Seite glotzte ihm jetzt eine Narbe entgegen. Sonst hatte ihr der Krebs nichts von ihrer Brust gelassen. Nur als diese hässliche Narbe, die er nie sehen sollte. Ihr war es mehr als peinlich und sie wurde wütend. Sie packte die Orange, samt Zellstoff und Watte und rannte so schnell und unauffällig es nur ging zur Toilette. Wieder lies sie ihn allein zurück.