Sternennacht
Sternennacht
Du findest mich außer Atem, das ist wahr, doch höre mich an, Geliebter, es ist nicht ohne Grund. Oh, ich wünschte es wäre so. Was ist geschehen? Willst du wissen? So frage ich dich:
Hast du den Mond heute Nacht gesehen? Hast du die Sterne heute Nacht erblickt, ohne den Schleier der Wolken. Hast du aus dem Fenster gesehen und die Schatten bemerkt? Was, wenn ich dir jetzt sagte: einer dieser Schatten war ich? Du fragst, was ich dort wollt, in deinem dunklen Garten, zwischen den Sträuchern und uralten Bäumen, du fragst, ob ich die Wahrheit spreche. So glaube mir, mein Geliebter, das tue ich, aber was ich dort zwischen den Sträuchern tat, das ahnst du doch schon längst selbst. Hast du nicht die Spuren bemerkt, die zu deinem Haus führen, die sich in die verräterische Erde eingegraben haben? Hast du dich nicht über die Kratzspuren am Holz deiner Haustür gewundert? Benutze deine Sinne, die verdammten Zeichen sind überall. Oh ja, mein Freund, verdammt und verflucht sind sie, ebenso wie ich, die ich sie hinterließ.
Du behauptest, du weißt von nichts, du hast des Nachts tief und fest geschlafen, so dass dich nicht mal ein Gewitter hätte wecken können. Ich sage dir, was letzte Nacht durch dieses Land zog war kein Gewitter, auch, wenn man seine Laute für das Rollen des Donners hätte halten können. Doch sag mir, du hast nichts vernommen? Nicht meine Warnschreie, nicht mein?oh du Glücklicher, weißt du nicht um die Gefahr, der du heute Nacht nur knapp entronnen bist. Oh, ich Unglückliche, die ich über alles nur alle zu klar bescheit weiß.
Ich war da, ich wollte dich beschützen, doch ich hatte keine Macht über meinen Körper, die hatte der Mond an sich gerissen. Wie der Mond? lautet jetzt deine überraschte Frage. Ich kann es dir nicht erklären. Ich kann dich nur warnen: wer den Mond zu lange anstarrt, über den ergreift er Besitz. Weißt du, was es heißt, in einem Körper zu stecken, den du nicht selbst lenken kannst? Du willst den Arm heben, aber stattdessen machst du einen Schritt nach vorne. Du möchtest schreien vor Verzweiflung, aber dein Mund bewegt sich nicht, deine Stimmbänder verweigern ihren Dienst.
Und doch gab es in dieser Nacht eine Sekunde, da habe ich ihn besiegen können, ich schrie den Schrei, den du nicht hörtest, dann war es wieder vorbei und ich spürte seinen Zorn auflodern. Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag, dass er sich rächen würde, denn noch nie hatte es jemand gewagt, sich gegen ihn aufzulehnen. Ich wurde kreidebleich, Geliebter. Oh nein, verzeih mir, ich wäre weiß geworden, aber ich konnte nicht. Ich war gefangen in meinem eigenen Körper.
Was geschah willst du wissen? Ach, wärst du nur erwacht, vielleicht hätte es dich gerettet. Aber du schliefst. Das helle Licht des unheiligen Mondes durchflutete dein Zimmer und in seinem Schimmer sah ich, wie sich dein Brustkorb ruhig hob und senkte. Die Ratte neben deinem Bett sah ich nicht. Vielleicht war das deine Rettung.
Doch du drängst mich zu Recht mit meiner Geschichte fort zu fahren und nicht aus zu schweifen, also höre weiter. Ich wollte aus dem Fenster sehen, doch ich ging hinüber zu deinem Bett. Ich hätte schreien mögen aus Angst vor dem, was nun kommen sollte, denn ich ahnte furchtbares. Ich ließ mich auf der Kante deines Bettes nieder und beugte mich über dich. Wenn du erwacht wärst, hättest du den Schrecken in meinen Augen lesen können, oder wären sie ein Spiegel des Mondes, der mich beherrschte, gewesen, silbern und ohne Ausdruck? Ich werde es nie erfahren. Du bewegtest dich und ich glaubte schon an Wunder, aber es war nur eine Regung im Schlaf. Ich beugte mich wieder über dich und sog deinen Geruch in mich auf. Es war intensiv, es roch gut. Ich spürte, wie etwas in mir erwachte, ich wünschte mir nur zu wissen, ob es wirklich zu mir gehörte, oder zu meinem Meister.
Ich fletschte die Zähne. Vermutlich blitzten sie ihm Mondlicht rasiermesserscharf auf. Ich weiß es nicht. Es waren nicht meine Zähne, aber sie waren plötzlich in meinem Körper. Ich küsste dich auf die Lippen, sie waren so warm und weich, die meinigen fühlten sich kalt an. So unendlich kalt. Sie erreichten deinen Hals, sie küssten dich, sie gaben die Fänge frei, ich wand mich in der Qual der Gewissheit meiner Tat, denn ich wusste, was nun geschehen würde.
Du ahnst es nicht, Geliebter? Ließ die Zeichen, verstehe meine Geschichte, denn ich wage es nicht das Unfassbare auszusprechen, das Böse, das Verfluchte. Du weißt nicht, was mit dir geschehen wäre, hättest du nicht einen Engel gehabt. Ja, ich verstehe deine Verwunderung, ich weiß du glaubst nicht an Engel, aber bis jetzt glaubtest du auch nicht an?ach, aber es ist doch wahr, Geliebter. Aber lass mich fortfahren. Dein Engel rettet uns beide, denn ich hätte mit dem Bewusstsein dieser Schandtat nicht leben können, ich wäre dazu einfach nicht mehr fähig gewesen.
Die Rettung kam für mich als unsäglicher Schmerz, du registriertest sie nicht einmal, du schliefst ja. Du fragst nach der Erscheinung deines Engels, ob er wohl in weiß gekleidet war und ob er Flügel hatte? Aber unser Engel hatte keine Flügel und er trug auch kein Gewand, denn es war dieselbe Ratte, die vom Licht des Mondes angelockt worden war. Ihr Biss tat weh, natürlich, aber es traf meinen Peiniger genauso wie mich, und nur darum konnte ich ihn ertragen. In dem Moment als die Ratte biss, floh der Mond aus mir. Ich spürte meine Freiheit zurückkehren, ich sah dich vor mir liegen. Ich hatte meine Freiheit wieder, aber die Angst ließ mich nicht gehen.
Sieh deinen Hals an, Liebster, und sag mir die Wahrheit. Gibt es auch nur den geringsten Schnitt, die kleinste Rötung? Heute Nacht brachte ich nicht den Mut auf es nach zu sehen. Ich floh ebenso wie der Mond, doch nicht zu den Sternen. Wieso? Willst du wissen? Ich hätte doch bei dir bleiben können, ich war doch frei. Aber ich konnte nicht, ich musste allein sein, ich fürchtete er würde wiederkehren.
Doch nun, mein Liebster, sieh aus dem Fenster. Der Abend graut und meine Furcht wächst. Bitte lass mich bei dir verweilen in dieser neuen Nacht. Halte mich, beschütze mich vor dem Bösen, verhindere, dass sich letzte Nacht wiederholt. Ich wage es nicht zum Himmel zu sehen, ich bete, dass die Wolken den dunklen Herren und sein Gefolge bannen werden. Halte mich fest, mein Liebster, ich weiß nicht, was geschehen wird. Versprich mir nur, dass du tust, was nötig ist für dein Überleben, denn wenn sich die letzte Nacht wieder holt ist meine Leben verwirkt. Ach, warum habe ich den alten Geschichten nie Glauben geschenkt? So sind jetzt mein Stolz und meine Skepsis mein Tod. Halte mich, wir wollen unserem Schicksal entgegensehen.