Manchmal denke ich an Cordes
Manchmal denke ich an Cordes, wie er in seinem Bett liegt, ganz klarer Blick ?
Vor ein paar Tagen noch lagen wir auf der Intensivstation. In der Nacht haben wir beide Probleme mit dem Einschlafen.
Die Nachtschwester hat die Putzwut und knallt ständig die Klapptüren an den Schränken zu.
Ab und zu schaut sie nach uns und überprüft die Schläuche und Kabel. Meine spöttische Frage, ob der Möbelwagen schon bestellt sei, versteht sie zuerst nicht. Als der Groschen fällt, nimmt sie das ernst - sie reagiert schnippisch: "Ich mache immer so einen Lärm, wenn ich aufräume."
Cordes kann sich vor Lachen kaum halten und stöhnt auch sofort auf, er hat starke Schmerzen. Ich schmunzele nur in mich hinein, es geht mir nicht gut, mein Kreislauf spielt verrückt. Der Körper schmerzt von der großen Herzsonde.
Fast eine Stunde lang hatte die Ärztin in meinem Herzen herumgestochert und mir verdammt weh getan. Dabei war ich so verkrampft, daß ich noch am folgenden Tag meine Rückenmuskeln spüre, und meine Leiste schmerzt stark. Außerdem plagt mich eine Lungenentzündung und mein Brustkasten brennt, trotz Morphium.
An Schlaf ist kaum zu denken.
Im Verhältnis zu Cordes bin ich aber noch gut dran, ich habe nur eine Braunüle im linken Arm und ab und zu verwickele ich mich in die Leitungen des EKG.
Er dagegen ist vollkommen verkabelt und mit Schläuchen versehen. Immer wenn er sich im Schlaf dreht, verheddert er sich aufs neue. Dann springt der Alarm an und wir sind beide wieder hellwach.
Die Nachtschwester befreit ihn dann und wir schlafen wieder eine Weile.
Plötzlich schrillt wieder der Alarm ? diesmal bei mir, die Infusion ist leergelaufen.
Dieser verdammte, piepsende Kasten mit den vielen Geräten, Schaltern und Lampen neben unserem Kopfende, hat uns vollkommen im Griff.
Ab und zu betastet Cordes seinen aufgequollenen Bauch, das höre ich am Rascheln seiner Bettdecke. ?Ich bin froh, wenn ich hier wieder raus bin", murmelt er.
?Morgen werde ich punktiert.
Die wollen wissen warum mein Bauch nicht dünner wird."
Am nächsten Morgen:
Zwei Tage und zwei Nächte lag ich zur Beobachtung auf der Intensivstation. Mein Bett wird benötigt und ich muß zurück auf meine Station. Endlich bin wieder in meiner Nische, in der üblicherweise die Betten und die Nachtschränkchen stehen.
Ich will nicht auf ein Drei-Bett-Zimmer.
Man möge mir das Folgende verzeihen, aber ich habe es so erlebt: alte Männer frieren meist und brauchen anscheinend keine frische Luft. Außerdem stöhnen und schnarchen sie, furzen, erzählen dummes Zeug und gucken Musikantenstadl oder Gute Zeiten ? Schlechte Zeiten, vielleicht wegen der Mädels?
In der Nische aber habe ich meine Ruhe, kann schreiben, zeichnen und meditieren.
Ich brauche keinen Fernseher.
Schwester Veronika von den Salvatorianerinnen besucht mich fast jeden Tag. Wir lachen oft und viel bis ihr die Tränen fließen. Sie ulkt über die Trennwände vor meiner Nische.
Auch das Pflegepersonal schüttelt ab und zu den Kopf über meinen seltsamen Wunsch, aber es ist sehr aufmerksam und hilfsbereit.
Cordes entdecke ich zwei Tage später durch einen Spalt in meinen Trennwänden im Zimmer gegenüber, die Tür steht halb offen, er liegt im ersten Bett links. Wahrscheinlich kann er nun endlich nach Hause.
Am Nachmittag raffe ich mich auf und steige mit schmerzenden Gliedern in den Rollstuhl. Kurz klopfe ich an die Tür und rolle hinein.
Er hat einen Becher Cola in der Hand.
?Guck mal, die Ärzte haben gesagt, ich darf alles trinken".
Bleich ist er, sein Gesicht ist wächsern und schweißig und sein Bauch wölbt sich unter der Bettdecke.
?Na, kommste nach Hause?"
Er schaut mich durchdringend, fast liebevoll an: ?Machs gut Junge... ich muß sterben..., morgen oder übermorgen".
Ich kann nicht anders, ich streichle seine Stirn. Er, mit leiser Stimme: ?Geh jetzt, ich bin müde, ich muß schlafen?. Kurz blickt er auf die Flimmerkiste - nur Bilder - der Ton ist ausgeschaltet, ihm fallen die Augen zu.
In der Nacht höre ich von meiner Nische aus, wie er seine letzten Atemzüge tut, die Tür steht einen spaltbreit offen, ab und zu schaut die Nachtschwester nach ihm. Schwer atmet er ein und lang, ganz lang atmet er aus, die ganze Nacht hindurch. Zwischendurch döse ich etwas, aber daß dort drüben jemand stirbt, macht mir doch zu schaffen.
Ich versuche zu meditieren und den Tod als selbstverständlich zu nehmen - vor zwei Tagen haben wir doch noch zusammen gelacht.
Gegen halb elf vormittags spricht der Oberarzt vor dem Krankenzimmer mit einer Frau und einem Mann. Man sieht ernst aus und da weiß ich, Cordes ist tot.
Wie oft?
wie oft
habe ich mich alt
gefühlt,
wie oft
habe ich neu
begonnen
wie oft hab´ich geglaubt,
die Zeit
hat mich vergessen,
wie oft hab´ich mich getäuscht
und selbst
betrogen
ich habe ihn gesehen,
den raffer der zeit ...
den bruder des todes