Um den Tag in achtzig Zelten (19)
Bevor ich zwanzig Jahre wurde, kaufte ich ein Zelt
von meinem letzten elterlichen Taschen-
und meinem ersten selbstverdienten Geld.
Desweiteren erwarb ich Papier und Schreibgerät,
um in jener Zeit zwischen zwei getrennten Staaten,
deren gemeinsame Sprache ein Denkmal zu errichten.
Was kostet die Welt?!
Zwangsgeräumt waren meine künftigen KommilitonInnen.
Währungsvereint waren wieder meine Großeltern.
Und ich tauschte elterliches Dach planlos gegen Planen ein.
Der staatenferne Platz, an dem ich mein Zelt aufschlug,
eine Kolonie, ein Lager, ein Imperium des Rausches,
ein Tal der Sonne, war erfüllt von Melodien, die mich riefen.
Ein Aufbruch in die Wüste.
Martin, dem Eigentum Diebstahl erschien, so gab er vor,
schenkte mir meine erste Gitarre dort – wie zum Beweis.
Er war Gefährte mir, und Wegbereiter durch die Nächte.
Versuchung, der ich erlag.
Petra, seine gleichfalls großzügige Geliebte,
schenkte untreu mir das Feuer,
dem Pläne, Planen und Bekenntnisse
zum Opfer fallen würden,
noch vor den Grenzen,
die zu überschreiten wir gewillt waren
– doch noch lange nicht bereit.
In treuen Flammen unter freiem Himmel,
verloren Fingerkuppen ihre Unschuld,
ließen Blut. Rotes Blut für schwarze Tinte.
Stählerne Saiten für farbloses Papier.
Denn milder Mondenschein und loderndes Lagerfeuer
leihen Schreibenden nur unzureichend Licht.
Wir dachten an Deutschland in der Nacht, und waren
um den Schlaf gebracht, so scherzten wir, und träumten Tags.
Und waren also um den Tag gebracht
– und um den Traum zugleich.
Freundschaften und Grenzen
wurden damals überschritten,
naiv, vermeintlich einvernehmlich,
ohne Ansprüche, ohne Groll,
und schon bald
nicht ohne Folgen.
Das Denkmal, das ich mit Petra schlussendlich setzte,
war ein freier, selbstherbeigeführter Tod
und doch ein feuergeborenes Leben;
Ein treuer Zeuge, untreu gezeugt.
"Phoenix" tauften wir es, das Wüstenkind,
"Phoenix", wie die Stadt in Arizona.
Dem Abbruch geweiht sind Burgen ebenso wie Zelte,
ebenso wie Welten, die man für uneinnehmbar hielt.
Zweimal 40 Tage in der Wüste, neunundsiebzig Nächte,
in einem klirrend-klaren Sommer
kosteten mich die Welt,
doch nur die eine: meine.