Steppensand
Sand wirbelt durch die Luft, unweit vor mir rollt raschelnd eine Steppenhexe. Mein Blick ist in die Ferne des Himmels gerichtet, beobachte den Adler, der dort oben, weitab von allem, seine Kreise zieht. "Flügel müsste man haben... die würden einen tragen. Wohin man will..." Aber ich habe keine Flügel und fliegen kann ich auch nicht. Ich schaue an mir herunter, sehe mein staubigen Jeans, mein schwarzes Top, meine von der Sonne braun gewordene Haut. Nein, ich habe keine Flügel. Ich bin ein Mensch.
Der Adler hat scheinbar lange genug nach Futter ausschau gehalten und ändert seine Flugbahn. Er verschwindet aus meinem Blickfeld. Einfach so. Als wäre er nie da gewesen. Ein Geisterwesen. Die Indianer hier glauben, dass es Glück bringt wenn der Adler seinen Schatten über jemanden gleiten lässt. Vielleicht haben sie recht. Ich weiß nicht ob ich an die Geister glaube, oder an Gott, oder an Allah, oder an Buddha. Aber wenn es nur einen von ihnen gibt, gibt es alle. Für mich ist die Erde mit allem das auf ihr ist die Geister, oder Gott, oder Allah, oder Buddha. Oder ist es besser es die Existenz, das Leben zu nennen. Aber eigentlich ist es doch egal wie man dazu sagt. Die so oft gestellte Frage: >Glaubst du an Gott?< irritiert mich. Wenn ich versuche einfach so, ohne jegliche Gegenfrage zu antwortet, heißt meine Antwort wohl nein. Dennoch fällt es mir schwer die passende Gegenfrage zu formulieren. An welchen Gott? Kommt darauf an was unter Gott verstanden wird! Ich bin zwar getauft und habe meine Religionszugehörigkeit in der Konfirmation bestätigt, aber ich habe meine Ansichten geändert. Ich habe viel nachgedacht und mit der Zeit wurde mir die christliche Kirche immer fremder. Ich musste feststellen, dass ich nicht wirklich ihre Ansichten teilte. Noch heute bin ich mir nicht ganz sicher was genau das ist an das ich glaube, ich weiß nur es unterscheidet sich von dem Gedanken der Kirchen und man kann es wohl am ehesten mit dem Glauben der Indianer hier vergleichen, auch wenn ich aus einem völlig anderem Kulturkreis stamme. Mir fällt etwas ein, dass ich vor nicht all zu langer Zeit in mein Notizbuch geschrieben habe, einfach so, weil es mir im Kopf herum spuckte: > Als ich jünger war, waren viele Dinge, die jetzt so wichtig scheinen, völlig unerheblich. Ich habe nicht überlegt, sondern einfach nur geglaubt.
Es war unwichtig, dass ich weder lesen noch schreiben konnte. Es war egal, ob man männlich oder weiblich war. Es war unerheblich, dass die Erde rund ist.
Man erzählte mir es gäbe den Osterhasen, man erzählte mir es gäbe den Weihnachtsmann. Man sagte mir es gäbe einen Gott. Ich habe es geglaubt.
Dann wurde ich älter. Man erklärte mir es gibt keinen Weihnachtsmann, keinen Osterhasen, und ich begann mich zu fragen, ob es Gott gibt. <
Ich erhebe mich und klopfe mir den Staub von den Jeans. Ich nehme meine Trinkflasche und trinke in tiefen Zügen. Die Sonne brennt unbarmherzig. Ich habe mein dunkelbraunes Haar im Nacken zu einem Zopf zusammengebunden, damit ich nicht zu sehr schwitze, aber das ist hier fast unmöglich. Die Hitze stört mich wenig, ich liebe den Sommer. Die Luft flimmert. Um mich herum ist nichts als Steppe. Einige verdorrte Bäume. Steppenhexen. Steinbrocken. Sonst nichts. Ich mag das Land hier, weit weg von der Normalität des Alltages und doch vermisse ich das Meer.
Ich drehe mich um und blicke zurück. Fußspuren im Staub zeichnen den Pfad den ich gekommen bin. Dann wende ich mich von der Vergangenheit ab und setzte meinen Weg fort. Warum wandere ich hier alleine durchs Land? Ich weiß, ich bin auf der Suche. Aber auf der Suche nach was? Vielleicht nach dem Sinn? Vielleicht aber auch nach etwas anderem.
Ich gehe vorbei an einigen Felsbrocken. Sie sind uralt und wirken fast riesig in dieser Öde. Wie sind die nur hier her gekommen? Weit und breit ist doch nichts als Sand und Staub. Welche Urgewalten müssen hier vor langer Zeit geherrscht haben? Ich streiche mit der Hand ehrfürchtig über den verwitterten Stein. Die Oberfläche ist von der Wärme erhitzt. Es fühlt sich gut an. Ich schließe die Augen und spüre die sanfte Wärme durch meinen Körper fließen.
Ich stehe noch eine ganze Weile bei den großen Steinbrocken. Noch eine ganze Weile versuche ich mir aus zu malen, wie es hier einmal ausgesehen haben muss, doch irgendwie gelingt es mir kaum mir vorzustellen, dass hier einmal richtige Berge waren, dann vielleicht Wälder, und jetzt? Jetzt ist nur die Steppe geblieben. Und verdorrte Bäume. Und diese Felsbrocken. Mir fällt ein Spruch ein den ich einmal gelesen habe. >Nichts im Leben ist beständiger als der Wandel.< Wenn ich mich richtig erinnere ist dieser Satz von Darwin. Hier erst, in dieser Öde, beginne ich zu begreifen was dieser Satz wirklich bedeutet.
Ich gehe weiter, immer tiefer hinein in das mir so unbekannte Land. Und mit mir wandern meine Gedanken. In ihnen bin ich frei, kann ich gehen wohin ich will, bin ich nicht an diese Welt gebunden. Dort wo ich meinen Weg begann, wurde ich immer wieder von irgendwas aus diesem Traum geweckt. Aber hier ist niemand. Hier bin ich unendlich frei. Wie der Adler.
Als die Sonne tiefer sinkt und die Luft langsam Grad für Grad abkühlt, beschließe ich, mir einen Ort für die Nacht zu suchen. Ich wähle den Platz unter einem großen alten Baum. Bevor ich mich niederlasse gleitet mein Blick den Stamm hinauf und zu meiner Überraschung muss ich feststellen, dass dieser Baum keineswegs vertrocknet und verdorrt wie die anderen ist. Ganz oben in der Krone bewegen sich sanft einige grüne Blättchen im Windhauch des Abends. Fast wie ein Wunder. Wenn ich an die Geister glauben würde, fällt mir ein, ist das ein Zeichen. Aber ein Zeichen wo für? Dafür das ich den Platz gut gewählt habe? Oder dafür das der Baum mich Willkommen heißt? Ich muss über diesen Gedanken lächeln. Ich fege mit der Hand etwas Sand zur Seite und breite dann meine Decke aus. Ich setzte mich und öffne meinen Rucksack. Mein Abendbrot besteht aus einer Apfelsine und getrockneten Feigen. Nicht viel. Aber ich bin nicht hungrig. Ich ziehe mein Messer aus dem Gürtel und fange an die Apfelsine zu schälen. Als ich fertig bin beiße ich einfach rein. Meine Freunde finden diese Angewohnheit seltsam. Ich frage mich warum.
Schließlich ist die Sonne ganz untergegangen, ich fröstle und wickle mich fest in meine Decke. Die Nächte hier sind kalt, die Tage heiß. Über der Steppe liegt eine sonderbare Stille, passend zu der seltsamen Dunkelheit. Es ist nicht dunkel, auch nicht hell. Irgendwas dazwischen. Ich lausche in die Nacht und plötzlich habe ich das Gefühl nicht mehr allein zu sein. Langsam schaue ich mich um. Ich kann die Anwesenheit von jemand, etwas anderem spüren.
Wie aus dem Nichts steht ein paar Meter vor mir plötzlich ein Wolf. Nein, sagt mir irgendetwas, es ist eine Wölfin. Aber wie konnte sie hier so plötzlich auftauchen? Ich hätte sie kommen sehen müssen. Ich spüre ihren Blick. Sie sieht mich aus brauen Augen so seltsam an. Ihr Fell ist weiß wie der Schnee. Ich schaue zurück. Sie sieht mir direkt in die Augen. In der Luft liegt eine eigenartige Spannung, die ich nicht erklären kann. Ich bekomme eine Gänsehaut. Die Wölfin legt den Kopf schief und stellt die Ohren auf. Witternd hebt sie die Schnauze. Dann kommt sie näher. Langsam, ganz langsam. Und vorsichtig. Sie setzt sich auf eine Wurzel, am Stamm des alten Baumes und richtet die Schnauze zum Himmel. Es ist Vollmond. Ein silberner Schleier liegt über der Landschaft. Dann durchdringt ihr Geheule die Nacht.
Ich höre ihr zu, sage kein Wort, traue mich kaum zu atmen. Ich rolle mich mit meiner Decke zusammen und lausche. Irgendwann fallen mir die Augen zu. Doch selbst in meinen Träumen höre ich das Heulen der Wölfin. Und irgendwie beruhigt es mich, gibt es mir Kraft.
Ich werde erst wach, als das Licht der Sonne das des Mondes verblassen lässt. Mein erster Gedanke gilt der Wölfin. Ich schaue zu der Wurzel, aber die Stelle wo sie gesessen hat ist leer. Die Wölfin ist verschwunden. Ich weiß nicht warum mich das überrascht.
Ich rolle meine Decke auf, packe meinen Rucksack zusammen. Unbewusste betrachte ich immer wieder den Boden rund um meinen Lagerplatz. Ich hatte erwartet Pfotenabdrücke zu finden, aber da ist nichts. Nur meine eigenen Spuren.
Mein Weg führt mich entlang eines winzigen Baches. Fast nur ein Rinnsal. Am Ufer wachsen Gräser und Farne. Das Wasser plätschert leise über kleine, abgerundete Steine. Ich gehe in die Hocke. Im Wasser ist mein Spiegelbild zu sehen. Ich schneide ihm eine Krimasse und tauche meine Hand ins Nass. Als sich die Oberfläche wieder beruhigt hat, blickt mir abermals mein Gesicht entgegen. "Wer bist du?", frage ich leise die Gestalt. Natürlich bleibt sie stumm. Ich betrachte mich genauer. In meinem Zimmer, das so fern zu sein scheint, hängen Bilder von mir als ich noch kleiner war. "Bist du immer noch ich?" Das Mädchen im Wasser reagiert nicht. Ich bin ihr nicht böse. Ich erhebe mich und gehe weiter. Meine Gedanken bleiben am Bach. Ich sehe das Gesicht im Wasser vor mir. Bin das wirklich noch ich? Oder anders: Wer bin ich eigentlich? Diese Frage beschäftigt mich noch den ganzen Tag. Natürlich weiß ich, dass ich ein Mensch bin. Ein Mädchen. Aber wer ist dieser Mensch? Ich komme zu keiner Lösung. Wer bin ich? Ich weiß es wirklich nicht. Aber auch sonst Keiner kann mir das wirklich sagen, weil keiner mich kennt. Irgendwie bin ich nicht ich, irgendwie schon. Ich bin aber wie jeder einzigartig, aber manchmal habe ich das Gefühl das mein Spiegelbild nicht wirklich zu mir gehört. Ich weiß nicht wer ich bin, ich weiß nur das ich ich sein muss. Mein Charakter ist vielleicht etwas sonderbar, nicht wie der der meisten Anderen. Wenigstens glaube ich das. Viele können mich, mein Wesen nicht verstehen. Ich weiß auch nicht warum ich grade so bin, ich weiß nur ich kann es nicht ändern, egal wie sehr ich das möchte. Ich möchte jemand anders sein, wünschte nur ich wäre so wie die Anderen. Aber wie sind die Anderen? Sind wir nicht alle anders? Keiner kann das sagen... Ich sage immer es ist mir egal was andere von mir denken. Aber das ist es nicht. Es ist niemandem wirklich egal. Nur können es manche besser verbergen... So oft ich mein Aussehen oder meinen Charakter durchgehe, es gibt mir keine genaue Antworten auf meine Fragen. Auch meine Herkunft, meine Familie, mein Angewohnheiten helfen mir nicht weiter. >Der Charakter des Menschen ist sein Schicksal.< Heraklit war ein intelligenter Mann. Unbewusst seufze ich auf. Vielleicht ist auch das eines der Ziele meiner Wanderung. Mich selbst zu finden.
Als ich mich endlich von meinen Gedanken losreiße, sehe ich wie dunkel es schon geworden ist. Viel zu gefangen war ich von meinen Träumen, habe den Tag gar nicht wahrgenommen. Ich laufe bis es fast ganz dunkel ist. Dann setzte ich mich einfach auf den Boden. Meinen Rucksack lege ich neben mich. Jetzt erst merke ich, das ich Hunger habe. Ich krame meinen Proviant hervor und esse ein paar Kekse. Meine Flasche ist voll kühlem Wasser des Baches, den ich am Morgen entlang gewandert bin. Ich frage mich wie lange ich noch unterwegs sein werde. Eigentlich ist es mir aber auch egal. Ich bin gern hier, einfach nur stundenlang nachdenken. Kaum Menschen, Keine Probleme. Nur Steppe. Mit all ihren Geheimnissen und Überraschungen.
Ein Knacken lässt mich aus dem Schlaf hoch fahren. Ich blicke in das Gesicht der weißen Wölfin. Mit einem Schlag bin ich hell wach. Ich halte die Luft an. Diese Augen kommen mir so vertraut vor. Und plötzlich weiß ich auch warum. "Die selben Augen wie meine", flüstere ich fast lautlos. Die Wölfin spielt mit den Ohren. Sie ist ganz nah. Wieder ist da dieses eigenartige Gefühl. Irgendetwas ist mit dieser Wölfin. Es ist als umgibt sie ein unsichtbares Geheimnis. Unbewusst formen meine Lippen ein Wort. "Ansuz". Ich habe diese Wort noch nie gehört und weiß nicht was es bedeutet. Die Wölfin scheint es zu kennen. Sie setzt sich und stimmt wie in der letzten Nacht dieses seltsame Heulen an. Für mich klingt es fremd und vertraut zugleich. Ich spüre die Müdigkeit in mir aufsteigen und unterdrücke ein Gähnen. Die Wölfin unterbricht ihren Gesang und schaut mich an. Ich bin mir nicht sicher, aber es sieht aus als würde sie mir zulächeln. Ich gebe mich der Welt des Schlafes hin.
Noch bevor ich meine Augen am nächsten Morgen aufschlage, weiß ich das sie verschwunden ist und ich nirgendwo Pfotenabdrücke finden werde. Ich suche auch nicht danach, räume meine Sachen zusammen und setzte meinen Weg fort. Es muss schon gegen Mittag gehen, da fängt es an zu regnen. Zuerst fällt der Regen sanft, die Tropfen streichen leicht über meine Haut. Ich genieße die Abkühlung. Nach der andauernden Hitze ist sie eine willkommene Abwechslung. Aber mit der Zeit wird der Regen stärker.
Ich suche Schutz unter einem Felsvorsprung. Einige Stöcke liegen hier herum. Ich scharre den Sand beiseite und lege einen Kreis aus kleineren Steinen. Ich hohle einige trockene Zweige aus meinem Rucksack, die ich vorsorglich schon die ganze Zeit mit mir herum getragen habe. Nicht überall gibt es schließlich Feuerholz. Ich suche die herum liegenden Stöcke zusammen und entfache mit Hilfe von etwas Papier ein kleines Feuer. Es trocknet meine Kleidung und Haare. Ich lehne mich gegen den kalten Stein. Nur ab und zu muss ich etwas Holz nachlegen. Neben dem Felsen habe ich noch mehr Holz gefunden. Einige morsche Bäume stehen in der Nähe. Ich schaue hinaus in die Steppe. Sie ist nur durch einen Regenschleier zu erkennen. Durch den Regen ist auch die Luft abgekühlt. Ich fröstle und rücke näher an das Feuer. Es ist warm und gemütlich. Ich packe meine Decke aus. Heute wird es nicht mehr zu regnen aufhören. Wenn es in dieser Gegend regnet, dann nur richtig. Ich hohle etwas Brot aus meiner Tasche, spieße es auf einen Stock und halte es in die Flammen. Langsam drehe ich den Stock, dass das Brot nicht total verkokelt, nur etwas, nur ein klein bisschen. Unermüdlich verschlingen die Flammen das Holz. Es heiß immer >das Feuer des Lebens<, aber hier und jetzt habe ich das Gefühl, dass der Stock das Leben ist, das Feuer die Zeit und die Welt. Mit der Zeit vergeht das Leben. Aber wenn alles Leben vergangen ist, liegt die Erde nur noch leer und verlassen da. Niemand beachtet mehr die Zeit. Gibt es kein Holz zum weiterbrennen, ist das Feuer nur noch Asche und Staub. Es hat dann keinen Nutzen mehr. Ich schüttle den Kopf und murmle nur "komischer Vergleich".
Der Geruch etwas verbranntem steigt mir in die Nase. "Shit!" Ich werfe mein Brotstück raus in den Regen. Es qualmt. Der Rauch steigt hell in den nächtlichen Himmel. Ich habe vergessen das Brot aus den Flammen zu nehmen. Es ist verkohlt und hat Feuer gefangen. Seufzend schneide ich mir eine neue Scheibe ab. Diesmal schaffe ich es, es nicht verbrennen zu lassen. Hungrig mache ich mich über das geröstete Brot her. Dann nehme ich eine kleine Schale und stelle sie in die Glut die sich an einer Seite des Feuers gebildet hat. Vorsichtig gieße ich sie voll Wasser. Dann bedecke ich sie und mache mich, mit dem Kopf in meinen Rucksack vergraben, auf die Suche nach dem Zitronenteepulver. Dabei stoße ich auf mein Tagebuch. Ich ziehe es unter den ganzen anderen Sachen hervor. Der goldene Schlüssel, der mit einem Faden befestigt am Schloss baumelt, glitzert im warmen Schein des Feuers. Ich schließe das Buch auf und blättere es einfach nur durch. Wie lange habe ich schon nichts mehr hinein geschrieben? Aus irgendeinem Grund kann ich es plötzlich nicht mehr aus der Hand legen, doch bevor ich anfange zu lesen, schütte ich das Zitronenteepulver in das kochende Wasser. Ich fülle meine Tasse und nippe an dem Tee. Natürlich verbrenne ich mir den Mund.
Dann nehme ich wieder mein Tagebuch. Mein Blick fällt auf eine Seite die mit schwarzer Tinte geschrieben ist. Bubi. Ich brauche es gar nicht zu lesen. Ich weiß was dort steht. Jedes einzelne Wort. Ich schließe die Augen um zu verhindern, dass mir die Tränen kommen. Bubi war mein Wellensittich. Ich bekam ihn zu meinem ersten Geburtstag. Wir sind zusammen aufgewachsen. Er starb als ich neun war. Dann bekam ich Maxi. Er ist ganz anders. Ich liebe nur Bubi. Ich kann ihn nicht vergessen. Nie. Und wenn ich an ihn denke kommen mir noch heute die Tränen. Ich stand neben ihm als er starb. Ich konnte nicht verstehen, wollte nicht glauben das er nicht mehr da war. Ich glaube die Erwachsenen verstehen nicht, wie man so um ein Haustier trauern kann, aber das ist auch nichts anderes als wenn ein Mensch stirbt. Bei beiden sind es die Zurückgebliebenen die trauern. Vielleicht wäre es einfacher wenn wir wüssten, was der Tod wirklich ist. Wie es dann weiter geht. Auf Beerdigungen hört man immer vom Ewigen Leben und der Auferstehung der Toten. Ich kann das irgendwie nicht glauben. Für mich klingt die Idee logisch, dass man einfach aufhört zu existieren. Ich kann das auch nicht genau erklären. Ich glaube (,oder wünsche es mir vielleicht auch nur), dass man weg ist. Einfach nicht mehr da. Die Seele existiert nicht mehr. Nur der leere, leblose Körper in der Erde. Und selbst der wird sich mit der Zeit auflösen. Wenn ich das im Religionsunterricht in der Schule gesagt habe, sagte meine Freundin nur ich denke zu logisch. Vielleicht hat sie recht. Vielleicht nicht. Es gibt auch viele Leute die glauben, man wird als ein anderer wiedergeboren, hat dann nur vergessen was war. Hoffentlich nicht. Dann müssten wir den ganzen Stress vom Leben ja noch mal mitmachen. Ich träume davon, dann einfach meine Ruhe zu haben. Eine Freundin sagte einmal, sie wünsche sich, dass der Tod wie ewiger Schlaf sei. Sie würde auf einer großen Wiese liegen und träumen. Bei dieser Vorstellung habe ich das Gefühl, dass die Seele, mein Geist im Körper gefangen ist. Und das gefällt mir das nicht sonderlich. Ich habe auch schon von Leuten gehört, die glauben die Verstorbenen sind Geister. Die Geister sind für mich aber etwas ganz anderes. Das was diese Leute mit Geistern bezeichnen, wird auch Gespenster genannt. Und Gespenster sind für mich nur Blödsinn und Aberglaube. Sicher gibt es noch viel mehr Vorstellungen und jede ist anderes. Keiner weiß wirklich was wird. Und vielleicht ist es grade das, was uns so Angst macht. Aber es gibt immer welche, die uns Mut machen und uns trösten wollen. >Wer im Gedächnis seiner Liebe lebt, der ist nicht tot, der ist nur fern. Tot ist nur, wer vergessen wird.<
Das Feuer knackt. Ich schaue auf und lege schnell einen neuen Ast in die nur noch winzigen Flammen. Sofort wird das Feuer wieder größer. Ich nehme einen tiefen Schluck aus meiner Tasse. Der Tee ist jetzt fast kalt. Ich stelle die Schale wieder in die Glut zurück.
Außerhalb des Felsvorsprungs ist es dunkel. Viel dunkler sogar als die Nächte davor. Daran ist der Regen schuld. Mein kleines Feuer ist die einzige Lichtquelle. Ich ahne das es schon ziemlich spät sein muss. Aber ich bin nicht müde. Ich sitze am warmen Feuer und warte. Ich hatte gehofft, die Wölfin würde mich auch heute Nacht besuchen, aber ich bleibe weiter allein. Vielleicht ist es ihr zu nass. Oder vielleicht fürchtet sie sich auch nur vor dem Feuer. Oder sie hat mich vergessen. Ich lege mich hin und wickle die Decke um mich. Für einen Moment schließe ich die Augen. Ich spüre einen sanften Windhauch. Ich öffne meine Augen wieder. Vor mir steht die Wölfin. Mir kommt plötzlich diese Wort in den Sinn. Wie war das? Ich schaue sie an. Ich erinnere mich wieder. "Ansuz". Die Wölfin stellt die Ohren auf. "Ist das dein Name?" frage ich leise. Sie sieht mich mit schiefgelegtem Kopf an. Dann macht sie einen zögernden Schritt auf mich zu. Vorsichtig strecke ich die Hand aus. Sie erlaubt mir ihr Fell zu berühren. Ich streichle über ihren Hals. Sie setzt sich neben mich und genießt es gekrault zu werden. Ihr weißes Fell ist weich. Nicht eine einzige Strähne ist nass vom Regen. "Seltsam", murmle ich. Die Wölfin hebt den Kopf und schaut mich aus ihren sanften brauen Augen an. Ich lächle ihr beruhigend zu. Sie streckt sich aus und kuschelt sich an mich. Ich gebe ihr von meinem Essen ab. Danach lege ich mich ebenfalls hin. Es tut gut ihre Nähe zu spüren. Ich kraule ihren Nacken. Die Wölfin knurrt wohlig. Noch im Schlaf fühle ich das weiche Fell, ihren Atem neben mir.
Am nächsten Morgen erwache ich, als mir unsanft etwas nasses über das Gesicht fährt. Lachend streiche ich der Wölfin über den Kopf. Sie schaut mich erstaunt an. Insgeheim wundere ich mich sie zu sehen. Bis jetzt war sie morgens immer verschwunden gewesen, doch heute sitzt sie hier neben mir. Ich frühstücke ausführlich und teile meine Mahlzeit gerecht zwischen der Wölfin und mir. Als ich danach aufbreche folgt mir die Wölfin ohne das ich etwas gesagt hätte. Erst läuft sie hinter mir, irgendwann daneben. Ab und zu hebt sie den Kopf und ich blicke in ihre Augen. Ich weiß nicht warum sie hier ist, warum sie mir folgt. Ich frage auch nicht danach. Ihre Augen scheinen mich zu verstehen, ohne das ich nur ein Wort sage. Sie scheint zu denken wie ich auch. Ich erinnere mich an eine Stelle aus der Bibel: >...der Mensch ist dem Tier gleich...< Auch wenn das viele von uns nicht verstehen wollen. Aber es gibt einen einfachen Grund. >...denn alles ist vergänglich...< Die meisten christlichen Menschen haben die Bibel gelesen. Auf Sätze wie diesen achtet aber niemand. Früher, noch bevor es die Bibel gab, haben die Menschen die Tiere geachtet und verehrt...aber heute? Heute ist der Mensch das größte, intelligenteste Wesen auf dieser Erde. Alles andere ist ihm unterlegen und muss gehorchen. Glauben wir! Aber warum sind wir da so sicher? Woher wissen wir, dass Tiere nicht auch denken. Ich muss lächeln als ich an den Satz aus meinem Religionsunterricht denke, der mich damals ziemlich aufgeregt hat. >...Menschen und Tiere...< Ich bin noch heute der Meinung das dieser Satz falsch ist. Der Mensch ist doch auch nur ein Tier. So gar ein ziemlich unfähiges. Meine Banknachbarin hat zwar genickt, aber ich glaube nicht das sie verstanden hat was ich meine. Während der selben Unterrichtsreihe musste ich auch feststellen, dass die Welt ganz anderes wäre, gäbe es den Menschen nicht in seiner heutigen Form. Früher hatte alles sein bestimmtes Gleichgewicht. Der Mensch hat es mit der Zeit zerstört. Es ist traurig wenn man das einsehen muss. Dann wünsche ich mir ich wäre nicht in diesem Menschenkörper gefangen, sondern frei. Oder irgendein Tier das die Sünden und Probleme der menschlichen Welt nicht kennt und begreift.
Während dieser Gedanken bin ich stehen geblieben. Vor mir fällt eine Felswand steil in die Tiefe ab. Ich schaue mich um, entdecke aber keine Stelle zum Herunterklettern. Die Wölfin stupst mich sanft an und läuft dann einige Schritte nach links. Sie kläfft mir auffordernd zu. Vorsichtig gehe ich ihr nach. Mit schlafwandlerischer Sicherheit klettert sie den Hang hinab, findet immer wieder irgendwo halt. Auch meine Schritte werden immer sicherer, sind nicht mehr so zögernd wie am Anfang. Ich vertraue ihr, lasse mich führen. Nach ungefähr einer Stunde sind wir unten angelangt. Ich blicke zurück, erkenne auf dem Hang keinen sichtbaren Weg. "Wie haben wir das geschafft?", frage ich die Wölfin. Sie wedelt nur mit dem Schwanz, als wäre das nichts Besonderes gewesen. Wir setzen unseren Weg fort.
Steine liegen hier überall herum, säumen den schmalen Pfad. Auf dem Felsigen Untergrund sind meine Schritte deutlich zu hören. Zu Hause ist das nichts Besonderes, aber hier? Solange ich schon unterwegs bin, habe ich das Geräusch meiner Schuhe auf hartem Boden nicht mehr gehört. Es klingt seltsam. Ich kann nicht aufhören darauf zu achten. Ich hatte mich schon zu sehr an das lautlose Laufen auf Sand und Erde gewöhnt. Wieder einmal stehe ich vor der Kluft zwischen der heutigen, "normalen", Welt und der Welt hier. Wieder einmal kann ich sehen was der Mensch verloren und zerstört hat. Wie schön muss früher alles gewesen sein, als die Menschen noch nicht begonnen hatten große Städte mit Fabriken und Häusern zu errichten. Ich blinzle und es ist, als sehe plötzlich die Steppe viel deutlicher. Sie sieht anders aus als vorher. Vor mir sind große, düster wirkende Bauwerke, der Himmel über mir ist fast schwarz. Die Luft ist stickig, ich habe Mühe zu atmen. Ich höre den Lärm von Motoren. Ich kann nicht sagen ob die Gebilde Häuser, Fabriken oder sonst irgendwas anderes sind. Aus gewaltigen Schornsteinen quillt dichter, grauschwarzer Rauch. Dazwischen liegt ein riesiger Kuppeldom. Langsam, fast entsetzt schaue ich mich um. Wo sind die Berge, der Sand? Nur der felsige Boden zeigt mir das ich mich immer noch in der Steppe befinden muss. Die Wölfin ist verschwunden. Die Stille, die nur ein paar Sekunden andauert ist gespenstig. Ein Insekt kommt leise summend auf mich zu. Es ist eine mir unbekannte Art. Als es näher kommt erkenne ich auch warum. Es ist ein winziger Roboter. In dieser Welt kann nichts Natürliches mehr leben. Ungläubig, mit aufgerissenen Augen stehe ich da. Ich kann mich nicht von der Stelle rühren, kein Wort kommt über meine Lippen. Schließlich bring ich mühsam ein leises "Nein..." heraus. Meine Stimme zittert. Verzweifelt schließe ich die Augen und schüttle den Kopf. "...Nein...Das kann nicht sein...!" Als ich die Augen wieder öffne, ist die beklemmende Dunkelheit und die sonderbaren Häuser wieder verschwunden. Erleichtert seufze ich auf. Die Wölfin drückt sich an mein Bein. Ihr Fell kitzelt. Immer noch benommen setzte ich mich auf einen Stein. Was war das eben? Eine Halluzination oder...? Den Gedanken, dass diese wunderbare Landschaft vielleicht ein mal so aussehen wird, wenn wir Menschen so weiter bauen, versuche ich schnell wieder aus meinem Kopf zu verbannen. Aber die Angst vor dem Gesehenen bleibt trotzdem zurück.
Als die Steine unter meinen Füßen bröckliger werden und schließlich in Sand übergehen, ziehe ich meine Schuhe aus. Ich verspüre eine unbändige Lust den Sand zu spüren. Er rieselt er über meine Zehen. Ich gehe weiter bis es dunkel ist. Die Wölfin folgt mir. Ich genieße den Sonnenuntergang und bin dankbar für das, was mich hier her geführt hat. Was immer das auch war.
Als die Sonne am nächsten Morgen wieder aufgeht, sind meine Gedanken immer noch an der Stelle zwischen den Steinen. Um mich abzulenken, packe ich mein Frühstück aus. Viel ist es nicht mehr, das Meiste habe ich schon aufgebraucht. Sorgen mache ich mir eigentlich nicht. Ich vertraue einfach darauf, hier irgendwo Beeren oder etwas anderes Essbares zu finden. Warum ich mir da so sicher bin weiß ich nicht. Aber egal. Die Hälfte meines Essens bekommt die Wölfin. Danach erhebe ich mich und lasse meinen Blick über die Landschaft schweifen. Von den Steinen und den Hügeln ist weit und breit nichts mehr zu sehen. Am Anfang meiner Reise hätte mich das vielleicht noch verwundert, da ich gestern Abend gar nicht mehr so weit gegangen war. Aber hier und jetzt stelle ich keine Fragen mehr wie diese. So etwas ist unwichtig geworden. Es war vielleicht mal anders, ist jetzt aber so. Wieso nach dem Warum und Wie fragen? Es gibt so viel wichtigeres, nach dem es sich zu fragen lohnt. Während diesen Tagen habe ich gelernt das es Dinge gibt die einfach so geschehen und nicht zu erklären sind. Und die geplant geschehen es besser aber nicht sollten. Ich habe gelernt zu unterscheiden. Die Wölfin schaut von ihrem Futter auf und sieht mich an. Zum wiederholten Male hab ich das Gefühl, dass sie meine Gedanken ließt und sie versteht. Als sie fertig mit Fressen ist, steht auch sie auf. Schnuppernd schaut sie in die Weiten der Steppe. Ich folge ihrem Blick, aber ich sehe nichts außer Sand und Staub. Als wir endlich weitergehen, folge ich einem unsichtbaren Drang, die Richtung einzuschlagen, in die die Wölfin so angestrengt geblickt hat.
Ich laufe bis am Mittag die Sonne unerträglich wird. Erschöpft lasse ich mich zwischen einigen Sträuchern auf die harte, ausgedorrte Erde fallen. Die kümmerlichen Pflanzen spenden kaum Schatten. Die Hitze ist unbarmherzig und gnadenlos. Die Wölfin liegt hechelnd neben mir. Ich schließe die Augen und beschließe hier eine Rast einzulegen. Die Wärme hindert mich am weitergehen, was mir eigentlich nicht ganz unrecht ist. Das ungewohnte tagelange Laufen und der wenige Schlaf haben mich doch ganz schön mitgenommen und ich habe eine Pause verdient um wieder neu Kraft zu sammeln. Ich strecke mich im Schatten aus und döse in der Mittagshitze. Als ich wieder erwache hat sich die Luft abgekühlt. Ich gähne und stehe auf. Die Wölfin folgt meinem Beispiel. Dann gehen wir endlich weiter. Irgendwann sehen wir vor uns eine Herde wilder Pferde. Sie sind stark und gut gebaut. Der Leithengst an der Spitze ist ein großer, prächtiger Rappe. Als die Pferde mich wittern treibt der Hengst misstrauisch seine Stuten zusammen. Die Fohlen nehmen sie in die Mitte. Ich bleibe in Abstand, ich will die Herde nicht verängstigen. Ich muss an zu Hause denken. Dort bin ich geritten, aber die Pferde dort sind anders als hier. Abgestumpft, auf den Menschen fixiert, hoffungslos. Sie führen nicht ihr eigenes Leben, bestimmen ihre Wege nicht selbst. Die Pferde hier sind frei. Sie haben nicht gelernt dem Menschen zu gehorchen und werden nicht von ihm versorgt. Trotzdem haben sie überlebt. Zwar leben sie noch das alte Leben auf Leben und Tod, aber sie können es selbst bestimmen. Dadurch sind sie zäher, stärker und kluger als die Hauspferde geworden. Halb im Scherz frage ich mich ob es überhaupt etwas gibt, wo der Mensch nicht seine Finger im Spiel hatte, hat oder haben wird. Was hat Voltaire mal gesagt? >Wir sind verantwortlich für das, was wir tun. Aber auch für das, was wir nicht tun.<
Am Abend liege ich fest in meine Decke gewickelt da. Ich bin zwar todmüde, aber ich finde keinen Schlaf. Ich sehne mich danach einzuschlafen und drehe mich seufzend auf den Rücken. Es ist eine klare, wolkenlose Nacht. Die Steppe ist in das kalte Licht des Mondes und der Sterne getaucht. Diese kleinen Punkte am Firmament der Ewigkeit. Sie sind Millionen von Lichtjahren entfernt und strahlen bis hier her. Ich verstehe warum die Menschen vor langer Zeit die Sterne als Götter verehrten. Wer bekommt nicht eine Gänsehaut, wenn er nachts zu den Sternen Blickt? Wer ist dann nicht fasziniert von diesen fernen, funkelnden Wegweisern? Wer will dann nicht wissen, was sich dahinter verbirgt? Das war schon damals und ist heute immer noch so. Mir geht es nicht anders, als vielen zuvor. Wer weiß schon was dort draußen ist? Jeder hat eine andere Vorstellung. Werden wir jemals erfahren welche stimmt? Ich bin mir nicht sicher, ob ich das wirklich wissen will. Es scheinen so unendlich viele Sterne zu geben. Ich weiß aber, es scheint nur so. Würde ein Mensch lange genug leben um sie alle zu zählen, wären sie auch zählbar. Wenn es unendlich viele wären, würden sie den Himmel erhellen, egal wie weit sie entfernt sind. Dann gäbe es auf der Erde keine richtigen Nächte. Die Nacht wäre hell und würde sich vom Tag fast gar nicht unterscheiden. Aber so ist es nicht. Um mich herum ist es Dunkel. Trotz dem Licht der Sterne.
Die Wölfin bewegt sich neben mir im Schlaf. Ich streiche beruhigend über ihr weiches Fell. Wenig später bin auch ich tief und fest eingeschlafen.
Am nächsten Morgen schlafe ich lange. Ich trage zwar keine Uhr, aber ich kann am Stand der Sonne sehen, dass es schon Mittag sein muss. Ohne zu Frühstücken mache ich mich wieder auf den Weg. Die Wölfin trottet hinter mir her und hält sich in meinem kühlen Schatten. "Du hast Glück", sage ich leise zu ihr. "Ich kann nicht in deinem Schatten gehen." Meine Stimme ist rau. Ich habe seit Tagen nicht mehr als ein paar wenige Worte gesprochen. Es gibt hier einfach niemanden mit dem ich reden könnte. Die Wölfin versteht mich ohne Worte. Nur manchmal vermisse ich jemanden mit dem ich einfach mal reden kann und der mir zuhört.
Wir kommen nur langsam voran. Die Sonne brennt wieder heiß, der Staub des Bodens steigt in meine Kehle, trocknet sie aus. Immer wieder greife ich in meinen Rucksack und nehme einen tiefen Schluck aus meiner Feldflasche. Manchmal forme ich meine Hand zu einer Schale und gieße etwas Wasser hinein um die Wölfin trinken zu lassen. Sie wedelt freundlich mit dem Schwanz. Langsam doch besorgt stelle ich fest, dass nicht mehr viel von meinem Wasser da ist.
Die Wölfin stoppt und hebt schnuppernd die Schnauze. Ich schaue sie an. Ich weiß, sie wittert etwas. Aber was? Sie springt wieder auf, rennt schwanzwedelnd gerade aus. Ich folge ihr langsam und vorsichtig. Dann verändert sich plötzlich vor mir die Landschaft. Hinter einigen Felsen tauchen ein paar Bäume auf. Was mich verwundert ist, dass sie grün sind. Was aber noch erstaunlicher ist: In ihrer Mitte ist eine Art Lichtung mit einem kleinen See. Das blaue Wasser glitzert in der Sonne. Übermütig springt die Wölfin ins Wasser. Mein erster Gedanke bei dem Anblick der Oase ist, das das unmöglich wirklich sein kann. Im Näherkommen stelle ich allerdings das Gegenteil fest.
Die Wölfin paddelt wieder zum Ufer und kommt aus dem Wasser. Ihr Fell klebt nass an ihrem Körper. Als sie direkt vor mir steht schüttelt sie sich genüsslich. Ein Schwall kaltes, frisches Wasser ergießt sich über mich. Die Tropfen bleiben an meinen Wimpern hängen, rinnen meinen Nacken und Hals hinab. Die Wölfin sieht mich auffordernd an und ich beschließe kurzerhand ebenfalls schwimmen zu gehen. Ich ziehe meine Hosen und T-Shirt aus. Schließlich stehe ich nur noch in meiner Unterwäsche da. Bessere Badekleidung habe ich nicht dabei und ob wohl ich weiß, das weit und breit kein Mensch ist traue ich mich nicht mich ganz aus zu ziehen. Langsam gehe ich zum Wasser. Das Gras kitzelt an meinen Waden. Als ich den See erreiche spüre ich den feinen Sand unter meinen Füßen. Ab und zu erreichen sie kleine, nasse Wellen. Ich laufe bis mir das Wasser bis zur Hüfte reicht, dann lasse ich mich fallen und schließe die Augen.
Als ich genug geschwommen bin setzte ich mich ans Ufer ins Gras um zu trocknen. An der Böschung wächst Schilf. Die langen Stängel wiegen sich im kaum spürbaren Wind. Ich sehe den kleinen Fischen zu, die immer wieder unter mir vorbei flitzen. Am Boden des vom aufgewühlten Schlamm getrübten Wassers schimmern ein paar Muscheln.
Während ich die Wellen beobachte schweifen meine Gedanken unter die Oberfläche des Sees. Es heißt, alles Leben kommt aus dem Wasser. Ich kann mir schwer vorstellen wie es war, als es nur wenige Arten auf dieser Welt gab. Und das aus diesen wenigen so viele unterschiedliche geworden sind. Auch die älteste aller Fragen drängt sich mir wieder in den Kopf. Warum ist das Leben überhaupt entstanden? Wissenschaftler antworten darauf einfach nur: Weil die Erde die nötigen Vorraussetzungen dafür bietet, aber das kann doch nicht alles sein. Es muss doch einen Grund dafür geben, dass wir Leben. Es ist natürlich möglich, dass wir einfach nur so leben. Das wäre dann die Variante: Wir leben um zu sterben. Aber sonst hat doch auch immer alles seinen Sinn. Wieso nicht auch das Leben? Die Antwort, dass Gott den Menschen geschaffen hat, um einfach die Erde zu bevölkern und zu beackern und die Tiere um da zu sein, können wir denke ich wenigstens zum größten Teil streichen. Ich glaube nicht das wir weise genug dafür sind diese Frage zu beantworten. Auf Antworten wie diese werden wir noch warten müssen. Vielleicht für immer. Nur eins weiß ich ganz sicher: Wir leben nicht nur um zu arbeiten, zu essen und zu schlafen. Aber vielleicht leben wir ja einfach nur um glücklich zu sein. Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass ich das Rätsel lösen werde gebe ich die Suche nach der Antwort aller Antworten nicht auf. Wie auch immer die Antwort einst lauten wird, ich glaube sie dürfte im Zusammenhang mit der Antwort auf die Frage warum die Erde gerade so entstanden ist, dass es hier Leben geben kann. Aber eigentlich denke ich, dass die Entstehung der bewohnbaren Erde nur ein Zufall war. Ein paar Gesteinsbrocken und Nebel waren eben zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Und trotzdem glaube ich an den Sinn des Lebens. Egal ob diese beiden Sachen im Gegensatz zu einander stehen. Irgendwie kommt mir das eben richtig vor.
Ich sitze noch lange am See, halte die Füße ins kühle Wasser. Die Wölfin liegt dösend neben mir. Langsam senkt sich der Schleier der Nacht über die Steppe. Die untergehende Sonne spiegelt sich auf der jetzt ruhigen Wasseroberfläche. Es sieht fast so aus als ob der See brennt. Aber der Nachtwind und die Dunkelheit löscht das Feuer. Schließlich haben der Mond und die Sterne die Sonne verdrängt. Aber nur für diese Nacht. In absehbarer Zeit wird sich am Wechsel zwischen Tag und Nacht, dem täglichen Kampf zwischen Sonne und Mond wohl nichts ändern.
Als ich mich am nächsten Morgen wieder auf den Weg mache. Wandern meine Gedanken ähnlich wie Gestern in die Vergangenheit. Wieder bleiben sie bei der Entstehung der Erde und des Lebens hängen. Die Entstehung der Erde fasst man ganz einfach zusammen. Der Urknall. Aber wie kam es dann, dass Leben entstanden ist. Die Erde war doch nur Wasser und etwas Land. Woher kann da eine Zelle kommen, die der Ursprung alles Lebens ist? Aus nichts kann doch nichts werden. Die gleiche Frage haben sich auch schon Philosophen vor ziemlich langer Zeit gestellt. Auch sie waren geteilter Meinung. Sie alle glaubten an den einen Urstoff, aus dem alles ist, konnten sich aber nicht einigen ob er die Erde, das Wasser, die Luft oder das Feuer sein sollte. Ich weiß nicht mehr wer hatte so gar die Idee, dass Erde und Wasser einen lebendigen Frosch ergeben könnten. Aber heute wissen wir das das nicht so einfach geht. Aber woher kommt das Leben, diese erste Zelle dann? Mein Vater sagte das das vielleicht fast beweißt, dass es eine höhere Macht gibt. Und diese Macht hat das Leben erschaffen. Was mich dann allerdings zu der Frage bringt: Woher kommt diese höhere Macht? Papa sagte darauf: >Vielleicht war diese Macht schon immer da, und wird immer da sein.< Aber ich frage mich dann, wie lange "schon immer" ist. Nichts kann schon immer einfach da gewesen sein. Alles muss doch irgendwann seinen Anfang gehabt haben. Vielleicht. Für mich hat keine höhere Macht das Leben erschaffen, sondern das Wunder Leben selbst ist diese Macht, ist Gott. Somit sind wir alle ein Teil von Gott, aber was wir mit diese Geschenk anfangen bleibt uns selbst überlassen. Daran werde ich wohl glauben, bis irgendwann irgendwer diese Fragen aufklären kann und mich eines bessern belehrt.
>Wer von dreitausend Jahren sich nicht weiß Rechenschaft zu geben, bleibt im Dunklen unerfahren, mag von Tag zu Tag Leben<, sagte einmal Goethe. Ich glaube wenn wir erst dieses Rätsel einmal gelöst haben, werden wir noch viel mehr entdecken und viel besser verstehen können.
Ich drehe mich um. Hinter mir ist von der Oase nichts mehr zu sehen. Alles was ich sehe ist Sand und Staub. Die Wölfin stupst meine Hand an. Ich vermute sie hat Durst. Ich lasse mich auf dem Boden nieder und ziehe meine Schuhe aus in denen sich mittlerweile auch schon Sand angesammelt hat. Ich lehre sie aus, dann nehme ich meinen Rucksack. Wasser habe ich jetzt wieder genug. Das Wasser des Sees war klar und drinkbar. Ich fülle es in meine Schale und stelle sie der Wölfin hin. Sie trinkt gierig. Ich schaue ihr eine Weile zu. Schließlich hohle ich mir eine Orange aus meiner Tasche. Ich habe sie in der Oase gepflückt. Ich beschließe eine Mittagspause zu machen, da ich Hunger habe und die Sonne schon wieder ziemlich warm scheint. Die Wölfin hat sich auf die Seite fallen gelassen und den Kopf in den Staub gelegt. Komischer Weise wird ihr weißes Fell davon auch nicht nur ein kleines bisschen schmutzig. Die Augen hält sie geschlossen. Zum wiederholten Male frage ich mich, wer sie wirklich ist und warum sie hier bei mir ist. Aber ich tröste mich mit der Gewissheit, dass ich es schon erfahren werde, wenn der richtige Zeitpunkt dafür gekommen ist.
Ich werfe einen Blick auf mein Handgelenk und muss lächeln. Am Anfang meiner Reise ist mir das noch öfters passiert. Ich wollte einen Blick auf die Uhr werfen. Das ist eine alte Angewohnheit. Ich glaube wir Menschen schauen mindestens fünf mal die Stunde auf die Uhr. Wenn nicht noch öfters. Aber hier trage ich keine Uhr. Ich weiß nicht wie spät es ist. Es ist auch unwichtig. Aber ist es eigentlich jemals wichtig immer genau zu wissen wie spät es ist? In unserer heutigen Zeit scheinbar schon. Alles ist nach der Uhr ausgerichtet. Um soundsoviel Uhr fängt das an, um soundsoviel endet dies, und so weiter und so fort. Und immer beschweren sich die Leute, dass sie zu wenig Zeit haben. Jeder hat es eilig, keiner hat Zeit. Immer in Hetzte. Dabei sollte man einen Sache ruhig auch mal langsamer angehen, selbst wenn es dann länger dauert. Aber das ist doch eigentlich unerheblich, wenn das Endprodukt dann um so besser ist. Außerdem muss man doch nicht alles gleichzeitig machen, nur die Sache die gerade am Wichtigsten ist. Vielleicht sollten wir uns ein Zitat von L. A. Seneca öfters mal zu Herzen nehmen. >Wir haben nicht zu wenig Zeit, wir vergeuden nur zu viel davon.<
"Okay, auf geht's", rufe ich der Wölfin zu und Packe meine Sachen zusammen. Sie springt auf und schüttelt sich. Gespielt seufzend stehe ich auf und strecke mich. Ich spüre einen sanften Windhauch auf meiner Haut. Ein Zeichen dafür, dass es schon wieder Nachmittag ist und es auf den Abend zu geht. Trotz des leichten Windes ist die Luft immer noch erhitzt. Ich spritze mir etwas von meinem Wasser ins Gesicht. Erstaunt schaut die Wölfin mich an, ich verstehe nicht, dass sie unter ihrem Fell nicht schwitzt. Ich stecke auch die Wasserflasche in den Rucksack und ziehe meine Schuhe wieder an. Wir gehen weiter. Weiter, bis uns statt der Helligkeit der Sonne, nur noch der Schein des Mondes die Steppe beleuchtet. Als wir dann unser Nachtlager aufschlagen, schlafe ich fast augenblicklich ein. Während dem Laufen war mir meine Müdigkeit nicht bewusst gewesen.
Ich bin wach, noch bevor die Sonne richtig aufgegangen ist. Ich schaue ihr zu, wie sie sich hinter dem Horizont hervor hebt und dabei ihren warmen Glanz über die Steppe verteilt. Nach einer Weile gesellt sich die Wölfin zu mir und legt ihren Kopf auf meinen Schoß. Ich kraule sie zwischen den Ohren. Sie schließt die Augen und knurrt wohlig. Irgendwie habe ich keine große Lust jetzt schon auf zu stehen, also frühstücke ich erst einmal ausführlich. Ich erinnere mich an einen Traum, den ich in der Nacht hatte. In mir drinnen weiß ich was ich geträumt habe, aber ich kann es nicht aussprechen, finde keine Worte dafür. Es war ein Traum, wie ich öfter träume. Und er bestand ganz sicher nicht nur aus einer Sache. Meistens sind es mehrere total verschiedene Dinge, die eigentlich überhaupt nicht zusammen passen. Oder ich träume von Personen, die ich zwar kenne, aber nicht benennen kann. Ich denke daran was ich mir früher, als ich noch kleiner war mal überlegt habe. Ich träume andere Leute, wie kann ich da sicher sein, dass ich selbst lebe und nicht auch nur von jemandem geträumt werde? Auf den ersten Blick klingt das unwahrscheinlich, aber was gibt mir die Sicherheit an zu nehmen, dass alles so ist wie es scheint? Ich sehe die Steppe, ich sehe den Sand, die verdorrten Sträucher, die grauen Steine. Aber woher weiß ich, dass sie wirklich so aussehen und nicht vielleicht ganz anders? Selbst wenn unsere Augen das so wahrnehmen, heißt das ja noch lang nicht, dass es auch so ist. Manche Tiere sehen ganz anders als wir. Wir können eigentlich nicht sicher sagen, was Täuschung oder Wirklichkeit ist. Und genauso kann es sich doch auch mit unserem Leben verhalten.
Ich schaue die Wölfin an. Okay, denke ich mir, es ist zwar nicht sicher was ist und was nicht, aber es fühlt sich wenigstens ziemlich echt an. Was immer unser Leben wirklich ist. Und solang ich nicht eines besseren belehrt werde, glaube ich an die Existenz dessen was ich vor mir sehe.
Ich schultere meinen Rucksack und nehme meine Schuhe in die Hand. Ich schlendere den unsichtbaren Weg, der mich durch die Steppe führt entlang. Der Sand ist heiß unter meinen Füßen, aber nicht so heiß als das ich es nicht ertragen könnte. Die Wölfin trottet neben mir her. Auch sie beschwert sich nicht. Ich weiß sie würde es auch nicht tun, wenn sie sprechen könnte. Meine Füße wirbeln Staub auf. Eine kleine Wolke umgibt meine Unterschenkel. Genauso wie die Pfoten der Wölfin. Mein Blick ist nach vorne gerichtet. Ich sehe nichts als Steppe. Und ab und zu eine verdorrte Pflanze. Steine. Ich bleibe stehen und vergrabe meine Zehen im Sand, zeichne mit ihnen Muster in den Staub. Kreise, Schlangenlinien, Striche. Ein Schatten gleitet über die Zeichnung. Nur für einen ganz kleinen Augenblick, nicht einmal mehr als zwei oder drei Sekunden. Ich schaue zum Himmel, die Wölfin tut es mir gleich. Über uns schwebt ein Adler. Seine Schwingen hat er weit ausgebreitet, ruhig zieht er seine Kreise. "Hallo, Freund", flüstere ich ihm zu, ohne das ich es gewollt habe. Für einen Moment war ich mir sicher, dass es der selbe Adler ist, den ich vor einer Woche oder länger gesehen habe, aber das ist doch unwahrscheinlich. Oder?
Ich spüre, dass der Blick von jemandem auf mir liegt. Ein sonderbares Gefühl macht sich in mir breit. Ich reiße mich von der Gestalt des Adlers los und drehe mich um. Ich schaue direkt in die Augen der Wölfin. Ich habe nicht bemerkt das sie von meiner Seite gewichen ist. Aber jetzt steht sie auf einem Felsen, wenige Schritte von mir entfernt. Irgendwas in ihrem Blick ist anders als sonst. Es hält mich gefangen. Eine geheimnisvolle und unheimliche Spannung liegt in der Luft. Ähnlich der, die aufstieg, als die Wölfin zum ersten Mal auftauchte. Die Landschaft um mich herum, die Steppe scheint zu verschwimmen. Die einzigen noch klaren Umrisse sind die der Wölfin. Alles verändert sich. Nur die Wölfin auf ihrem Felsen vor mir bleibt gleich und doch scheint ihr Bild mehr und mehr zu verblassen. Bevor sie völlig verschwindet höre ich ihre Worte. Das heißt, ich höre sie nicht wirklich, aber sie sind in meinem Kopf. Erinnere dich. Vergess nicht. Vergess mich nicht... Dann ist sie verschwunden. Von einer Sekunde auf die andere. Ebenso wie die Steppe. Der Nebel der mich eben noch umgeben hat lichtet sich...
Ich schlage die Augen auf und schaue mich um. Durch den Spalt des offenen Fensters dringt Licht. Es ist genug um alles deutlich zu erkennen. Neben mir liegt meine Decke, ich sehe die Bilder an der Wand, die Bücher im Regal, die Zettel mit den Sprüchen und Zitaten an meinem Computer. Ich liege in meinem Bett. In meinem Zimmer. Zu Hause. Zurück im Alltag. Zurück in der Welt, in der der Mensch regiert. Fern von der Steppe. Noch immer benommen schüttle ich meinen Kopf. Alles war so echt. Und jetzt scheint das alles nur ein Traum gewesen zu sein. Die Steppe, die Wölfin, die Hitze. Ich hatte das alles doch so wirklich gesehen, es gespürt. Ich schaue auf meinen Wecker, dabei streift mein Blick etwas, was dort normaler weise nicht ist. Neben meinem Kopfkissen steht eine kleine, flache Schale. Sie ist aus einfachem Ton, bemalt mit seltsamen Zeichen. Ich erkenne nur eines davon. Die Rune "Anzus": "Zeichen, Wegweiser". Gefüllt ist die Schale mit feinem, hellen Sand. Halb darin vergraben liegt eine Strähne weißer Haare. Oder Fell. Vorsichtig streiche ich darüber. Es ist weich, viel weicher als alles was ich je gefühlt habe. Neben der Strähne liegt eine lange, starke Feder. Sie schimmert blauschwarz im gedämpften Licht. Eine Adlerfeder. Ich lassen den Sand durch die Finger rieseln und ich habe das Gefühl, als verströme er den Geruch von Freiheit und verteile ihn im Zimmer. Ich schließe die Augen und sehe die Steppe, die Wölfin auf dem Felsen deutlich vor mir. Erinnere dich. Vergess nicht. Vergess mich nicht... Die Worte der Wölfin gehen mir nicht aus dem Kopf. Und ich weiß ich kann nicht vergessen. Nicht die Gedanken. Nicht die Erkenntnisse. Nicht die Wölfin. Ich fühle den Sand, das Fell, die Feder. Kann das ganze wirklich nur ein Traum gewesen sein?