Ein Reisebericht - Il Giardino
Il Giardino
Wir verbrachten unseren Frühlingsurlaub und waren mit einem schwarzen Austin Mini von Berlin nach Pietrabruna bei Imperia (Italien/Ligurien) gefahren. Zwei schöne Maiwochen in Italien und dann weiter über Monte Carlo nach Paris, eine Freundin besuchen. Bis zur Rückkehr nach Berlin sollten sich knapp 5.000 Kilometer ansammeln.
Italien ist das Land der kleinen flinken Autos. Herrliche Serpentinen von den Bergdörfern runter zur Küste. Der Blick aufs Meer, die Sonne, der Duft. Das Herz springt vor Freude. Man möchte Musik hören, so laut, dass es alle mithören müssen. Man möchte laut singen, brüllen, schreien.
Einer der schönsten Momente für mich ist, wenn ich im Winter durch den Schnee von Deutschland über die Pässe nach Italien fahre. Beim letzten Tunnel fährt man im Winter hinein und kommt im Frühling in Italien wieder heraus. Wir machten das mal mit mehreren alten Minis.
Erinnerung:
?Die Autos röhren durch den Tunnel. Alle sitzen bei geschlossenen Fenstern und lassen die Heizungen arbeiten. Dann das Licht am Ende des Tunnels. Die Augen wollen sich vor dem grellen Licht verschliessen. Die Fenster werden heruntergekurbelt. Das Ende des Tunnels. Das Röhren der Auspuffanlagen, das von den Tunnelwänden zurückgeworfen wurde, verstummt in der grellen und duftenden Weite Italiens. Dafür recken sich Arme und Köpfe aus den kleinen Flitzern. Schreie gellen in die sonnigen Täler, zu zweit auf einer Spur, zu viert nebeneinander. Purer Rausch. Der Mob tobt. Momente, die einen jünger machen.?
Heute allerdings ist das Wetter unbeständig. Sonne und Regen wechseln sich ab. Ich schlage vor, Monte Carlo zu besuchen, die Stadt der Reichen und Schönen. Der Stadtstaat mit der Formel-1-Strecke mitten im Zentrum. Auf dem Weg kommen wir durch San Remo mit der Villa Nobel. Bei San Remo fällt uns ein schöner, am Küstenhang gelegener Giardino auf. Hanglage nach Süden. Ligurien ist ohnehin bekannt für seine milden Winter.
Um die Jahrhundertwende, zu Kaisers Zeiten, flüchteten die Wohlhabenden vor der kalten Jahreszeit aus Nord- und Mitteleuropa hierher. Der Giardino ist voll von wunderschönen Pflanzen, es blühen zahlreiche Kakteen.
Rausgeschält aus den hellblauen Veloursitzen des Wagens und Fotoapparat gegriffen. Der Zauber des Gartens wird unterstrichen von dem Wechselspiel von Sonne und Wolken. Über uns ziehen schwere schwarze Wolken hangaufwärts. Auf dem Meer stehen Lichtsäulen, die wie Scheinwerfer in der Nacht Lichtkreise auf das Wasser malen.
Die Wege im Giardino sind eng und gewunden. Mehrere Kakteenbeete sind terrassenartig angeordnet. In den einzelnen Reihenbeeten stehen viele Pflanzen der gleichen Art, wie bei einer Verkaufszucht. Erst ein Wald von Säulenkakteen, dann welche, die aussehen als habe jemand Mikrofone gesammelt und in den Boden gesteckt. In einigen Gängen muß man richtig aufpassen, nicht gegen einen dieser stacheligen Gewächse zu stoßen. Auf einer anderen Ebene bestaunen wir riesige Kugeln, deren grüner Kern von einem goldenen Stachelkleid umgeben ist.
?Echinocactus grusonii? oder besser bekannt als ?Großmutterstuhl?, die eiserne Jungfrau für Großmütter. Zum Sitzen nicht geeignet. In Amerika nennt man sie auch ?golden barrel?, ?goldenes Fass?. Große Exemplare erreichen einen Durchmesser von über 80 Zentimetern. Geballte stachelige Präsenz. Sie wirken durch ihre Kompaktheit eindrucksvoller als Kakteen, die wesentlich höher aber baumartig wachsen. Wolkenfetzen sorgen für Lichtspiele.
Ein junges verliebtes Paar fotografiert sich. Er sie, sie ihn. Er scheint mehr von der Sorte ?schneller Urlaubsknipser? zu sein. Alles was irgendwie auffällt, kurz und ohne Inszenierung ablichten und fertig.
Sie dagegen hat einen Anspruch. Sie will auf dem Bild die wuchtige Präsenz des Großmutterstuhls mit seiner Männlichkeit vereint wissen. Sie dirigiert ihn mal nach links und mal nach rechts, ein Stück nach vorn, ein wenig weiter nach hinten.
Aber dieser großartige Garten lenkt mich wieder ab, und ich vergesse die beiden Liebenden. Nachdem wir dann das Ende des Gartens erreicht und uns an dem schönen Ausblick sattgesehen hatten, machen wir uns wieder an den Abstieg, hinunter zum Eingang und zur Küstenstrasse.
Ich höre ein permanentes leises, wie unterdrücktes, Gegluckse, begleitet von leisen hart ausgestoßenen Worten. Es verstummte, um dann um so deutlicher wieder zu beginnen. Zwischendurch ein Quiekser, gefolgt von einer lauteren, scheinbar unfreundlichen Antwort.
Meine Neugier ist schon längst erwacht und ich will wissen, was Freude und Unmut an einem Fleck zusammenführt und nicht voneinander trennt. Da sehe ich die beiden Liebenden von vorhin. Ich kann mir nicht so recht zusammenreimen, was sie dort treiben. Sie sieht aus, als unterdrücke sie einen mächtigen Lachanfall, während er unglücklich und über ihre Freude wütend wirkt. Er drehte sich zu ihr, schimpfte leise auf sie ein, um sich dann mit einem kleinen Schmerzensschrei wieder umzudrehen, zu bücken und ihr auffordernd sein Hinterteil hinzustrecken. Gebeutelt von der Heftigkeit nicht gewollter Frohsinnsausbrüche, nestelt sie kurz an seinem Hinterteil herum, worauf er sich schmerzerfüllt streckt und wieder in ihre Richtung flucht, was ihre Heiterkeit scheinbar nur steigert. Ich schaute etwas konsterniert und fragend in ihre Richtung. Die junge Frau bemerkt mich, worauf ihr ihre Freude schier den Atem nimmt und sie fast zu stürzen droht, während sie mich ?mimisch? aufklärt.
Ihr Liebster jedoch streckt sich mit verzerrtem Lächeln, errötet ein wenig, wird ganz wortkarg und wartet offensichtlich bis wir endlich weitergehen. Mit einem knappen Nicken bestätigte ich kurz, dass ich verstanden hätte und ging höflich weiter.
Was sie mir versucht hatte, zu Verstehen zu geben war, dass ihr Liebster von ihr beim Fotografieren nach hinten dirigiert wurde. Um besser ins Bild zu passen, sollte er sich hinhocken. Leider war er schon zu dicht an den besagten Großmutterstühlen und es passierte das Unvermeidliche.
Als ich mir diese Erkenntnis bildlich vorzustellen beginne, ich bin gerade ein paar Schritte weiter und habe nun keine Sicht mehr auf das Pärchen, kann sie sich wohl nicht länger halten. Meine Kenntnisnahme der Sachlage scheint für sie eine nicht zu bewältigende Herausforderung an ihre Beherrschung zu sein, und so tobt alles angestaute Gelächter aus ihr heraus. Laut, schrill, sich überschlagend, hustend, nach Luft ringend ...
Ich lasse mich anstecken und lache fröhlich vor mich hin, was mir von anderen Besuchern verwirrte Blicke einträgt. Meiner Begleiterin ergeht es ebenso, und so geben auch wir einen seltsamen Anblick ab. Wir fragen uns, ob die Beziehung des Paares wohl unter dem Erlebnis leiden werde.
An einer schönen Aussichtsstelle setzen wir uns auf eine Bank und ruhen uns ein wenig aus, bevor es wieder ins Auto zur Weiterfahrt geht. Mein verträumtes Sehnen, bei diesem herrlichen Ausblick auf die italienische Küste und das Meer, wird hin und wieder von einem aufkeimenden Kichern ergänzt. Ausgeruht machen wir uns auf den Abstieg zur Straße.
Als wir die Straße überqueren, schaue ich mich gewohnheitsgemäß um. Dabei sehe ich das besagte Pärchen Arm in Arm auf ein geparktes Fahrzeug zusteuern. Als sie uns entdeckt, gibt sie ihrem Liebsten einen herzhaften Klaps auf den Allerwertesten ...