Ein Sommertag
Um mich herum stapeln sich die Pappkartons. Hoffentlich ist dieser Umzug bald vorbei!
Mein strapazierter Lieblingssessel gibt mir ein wenig Geborgenheit.
Meine Füße liegen auf einer Kiste und nur mit Mühe halte ich die Augen offen.
Ich bin ziemlich geschafft.
Schläfrig fällt mein Blick auf ein halbverdecktes Foto, das unter einem Stapel Papier hervorragt.
Eine Frau und ein Mann, er im T-Shirt und langer Hose, sie im leichten Blümchenkleid. Mitten auf der Wiese sitzen sie auf einer Decke, dazwischen ein Picknickkorb - für kurze Zeit eine Insel im Alltag.
Versonnen schaue ich dieses Foto an, mitten in Unordnung und Kartons.
Picknick, diese Idylle.
Was bringt einen eigentlich dazu, Picknick zu machen?
Wohl jeder kennt das Wort "Picknick" oder hat auch schon gepicknickt - und bei jedem hängen wohl Erinnerungen daran.
Wie oft haben sie schon in ihrem Leben gepicknickt?
Aber was ist eigentlich das besondere am Picknick?
Fühle nur ich diesen Genuß im Provisorium, diesen Luxus inmitten der Schlichtheit der Natur?
Empfinde nur ich diese kurze Zeitspanne im Werden und Vergehen, im Kreislauf der Natur, als so wertvoll?
Schon alleine die Konstruktion eines Picknickkorbes ist eine Augenweide.
Aus Rohr geflochten, mit kariertem Stoff bezogen, Schnallen aus echtem Leder, solide Verarbeitung, alles höchst praktisch angeordnet und durchdacht.
Wie schön ist es, den Pichnickkorb zu öffnen, sich gutes Essen zu gönnen, Käse, Trauben, frisches Brot, Butter, Wein.
Beim Picknick lernt man sich kennen - erfährt in kurzer Zeit einiges über einen anderen Menschen in dieser entspannten Atmosphäre.
Zu Hause sitzt man wieder auf Stühlen, muß sich benehmen, kann nicht mehr die Krümel in die Landschaft schütteln oder Traubenkerne in die Gegend spucken.
Die abgenagten Knochen müssen nun auch wieder in den Abfall, wie es sich gehört.
Picknicken hat schon seinen eigenen Reiz.
Ich sitze zwischen meinen Umzugkartons, betrachte dieses Foto und es kommen Erinnerungen hoch.
Diese Situation kenne ich, fast alles ist genau wie damals - eine Wiese, eine Decke, der Picknickkorb, Eß- und Trinkgeschirr.
Die Frau auf dem Foto lächelt ihren Begleiter an.
Am Schreibtisch finde ich in dem Durcheinander einen neuen Sitzplatz und mittlerweile regnet es.
Die Tropfen prasseln auf mein Atelierdach und dieses Trommeln macht mich wehmütig.
Ein wenig genieße ich sogar diese Melodie, wenn sie mich auch melancholisch macht.
Ja, es war wunderschön, damals.
Der Wind treibt nun die Wolken auseinander und jagt sie vorbei an der Pappel und dem majestätischen, leicht gekrümmten Schornstein vor meinem Atelierfenster.
Die Sonne stößt durch die Wolken und ihr Grau wechselt zu einem strahlenden Weiß, mit scharfen Rändern.
Diese weißen Wolken habe ich schon einmal gesehen, damals - und der Sommer verabschiedet sich auch schon ? fast alles wie damals.
Sie trug ein Blümchenkleid, daran kann ich mich noch sehr gut erinnern.
Ein Hauch von Stoff und ich weiß noch, daß es mehr zeigte, als es verbarg.
Dieses Kleid war wirklich nur für einen Sommer gemacht.
Wie hieß sie noch? Ich überlege einen Augenblick lang - Susanne? Richtig, Susanne ? ja, sie hieß Susanne.
Ein wenig muß ich nach dem Namen suchen, aber diese Begegnung liegt schon lange zurück und sie war nicht die einzige Frau, mit der mich schöne Erinnerungen verbinden.
Das bringt das Leben so mit sich.
Wissen Sie eigentlich noch, wann und mit wem Sie ihr erstes Picknick gemacht haben?
Bei mir war es so, daß sich meine Nachbarin Susanne ziemlich spontan entschloß, mich auf einer meiner Fahrradtouren zu begleiten. Während sie ihr Fahrrad holte, wunderte ich mich, wieso sie so lange brauchte.
Als sie endlich kam und mein etwas mürrisches Gesicht sah, lächelte sie und hob den geflochtenen Korb.
"Ich habe eine Kleinigkeit eingepackt" sagte sie fröhlich und los ging es.
Mit dem Wort Picknick verbinden die meisten Menschen Erholung, Natur, Ursprünglichkeit, Erdnähe, Genuß, Gemütlichkeit und Wohlbehagen. So war es auch bei uns.
Nach dem Essen und Trinken, alles war wirklich exzellent zusammengestellt - wie hat sie das eigentlich so schnell geschafft? - sank ich mit einem leisen, genußvollen Stöhnen nach hinten weg auf die Decke.
Solch eine Frau! - ganz zufällig getroffen und nun das!
Ich verschränkte die Arme hinter meinem Kopf, fühlte mich paradiesisch und schaute in den blauen Himmel, vor dem die weißen Wölkchen mit den scharfen Rändern standen.
Etwas Lustvolles war in mir und meine Augen wurden schläfrig.
Zwischendurch, erinnere ich mich schwach, saß sie rittlings auf mir und bedeckte mich mit ihrem Blümchenkleid, aber der Wein tat weiter seine Wirkung und ich war so schläfrig und erschöpft, daß ich sofort wieder wie bewußtlos einschlief.
Als ich erwachte, lag sie halb auf mir und schlief, und an ihrem Lockenkopf vorbei, ganz nah, erblickte ich ein nasses, wiederkäuendes Kuhmaul.
Die Wirklichkeit hatte uns wieder, aus der Blumenwiese war wieder die Kuhweide geworden.
Wie die Geschichte endete, wollen sie wissen?
Jetzt, da ich diese Zeilen schreibe, sitze ich alleine am Fenster meines Ateliers und schaue wieder auf Wolken, die vorüberziehen.
Nur diesmal tut mir mein Fuß sehr weh und ist stark geschwollen.
Damals, voll Kraft und Leidenschaft, dachte ich, es sei Liebe.
Heute schlucke ich meine Herztabletten und lausche dem Leben.
Ich bin auch nicht mehr schlank und meine Erinnerung an diese Frau ist wirklich nur noch eine Erinnerung.
Aber dieses Erlebnis auf der Decke mitten auf der Wiese, das habe ich noch deutlich vor Augen.
Ich sitze alleine im Chaos meiner Umzugskartons, die Wehmut überkommt mich und bereitet mir ein schmerzhaftes Gefühl in der Magengrube.