Zára VI
Mit gezogenen Waffen rannten wir die finsteren Gänge entlang. Uns umgab nur glasartiger Kristall, der uns von dem Vakuum abschloss. Die Sterne funkelten Jahrmillionen alt. Hier gab es keinen Tag und keine Nacht. Es gab hier weder Mond noch Sonne, nur das warme, goldene Pulsieren der Stadt vor uns. Das Schiff hatten wir hinter uns gelassen. Nachdem wir wieder die Oberhand gewonnen hatten, flogen wir direkt hierher, zur Stadt im Zentrum des Universums. Manch einer hatte vor einigen Jahrhunderten Vermutungen angestellt, es gäbe hier ein Schwarzes Loch, das alle Sterne und Galaxien um sich ballte, doch er irrte. Das Universum strebt nach außen und hinterlässt in seinem Kern nur Schwärze, dicht wie Wasser. Es war wie in mondlosen Nächten auf meinem Heimatplaneten, zum versinken dunkel, wie ein Gewand. Man sah die Sterne, aber sie wirkten wie winzige Löcher in absoluter Finsternis, als schluckte das Weltall alles Licht. Die Stadt strahlte wie ein Leuchtfeuer. Irgendwer hatte einst die alten Leuchttürme mit ihr verglichen. Damals, als die Seefahrer sich noch nach den Küsten orientierten gab es eben solche Leuchtfeuer, die den Schiffen den Weg wiesen. Diese Stadt wies ebenfalls allen Weltraumfahrern den Weg, ins Zentrum des Universums.
Weit vor uns, nur als schwarze Schemen gegen das goldgelbe Leuchten der Stadt sichtbar, standen die Truppen. Zu ihnen sollten wir aufschließen. Wir waren nur eine handvoll Söldner, ähnlich denen, die sich während der Kriegszeiten ihr Geld mit ihren Dienstleistungen auf allen Seiten verdingten. Nur hatte uns irgendwann unser alter Idealismus eingeholt und wir sahen uns genötigt, für die Rebellen zu kämpfen, egal wie der Krieg ausging. Jedoch wusste keiner von uns, ob wir auf der richtigen Seite kämpften. Der Tunnel schien kein Ende zu nehmen und die Silhouetten blieben lange Zeit scheinbar unerreichbar weit. Hinter uns verschlang die allgegenwärtige Weltraumnacht die gläserne Röhre, als folgte sie jedem unserer Schritte. Ich konnte sie spüren, wie damals, in den Katakomben.
- Geh nicht! - Ich muss...
- Ich werde bei dir sein... für immer... - Schattenelfe
- Mondauge...
Ich riss mich von meinen Gedanken los. Endlich sahen wir ein Ende. Die gläserne Röhre war nicht die einzige, die in die Stadt hineinführte. Neben uns sah man unendlich viele, die auf die ebenmäßige Kugel der Stadt zu liefen. Die anderen Enden verschwanden in der Perspektive des Raums. Irgendwo dahinter verbargen sich die alten Versorgungsstationen, an denen früher Raumschiffe anlegten und die Bahnen zur Stadt ihre Stationen hatten. Etliche der Tunnel waren bereits vom Vakuum leer gesaugt, zerbrochen und abgeriegelt. Kaum eine der Versorgungsstationen war noch intakt.
Der Tunnel verbreiterte sich. Neben der Bahntrasse, auf der wir liefen stürzte sich ein Fluss aus Kühlmittel und Chemikalien zur Rohstoffgewinnung ins Zentrum des pulsierenden Lichts. Auch er war nur ein Zeichen der Verwüstung. Wie gewaltig muss die Technologie gewesen sein, dass die Gravitation jede einzelne Röhre trotz der Rotation der Stadt zu ihrem Mittelpunkt strebte, als liefe man stetig bergab. Wir hatten noch immer nicht zu der Truppe aufgeschlossen, die am Ende des Glastunnels an den Schleusen stand. Keine zehn Schritte vor uns ragte ein Träger der Bahntrasse quer über den Fluss. Absurderweise erinnerte er mich stark an einen umgestürzten Baum. Als wir heran waren, rief uns jemand von dem Träger aus zu, rief um Hilfe. "Lauft weiter!" rief ich, "Ich kümmere mich darum!" Von Jim kam nur ein hastiges Nicken und sie liefen weiter. Auf dem Träger hockte ein Mann in einem hellblauen Anzug. Er erinnerte mich etwas an eine Comicfigur aus einem anderen Jahrtausend. Seine Haare waren grau und dünn und seine Haut aufgesprungen und gerötet. An einigen Stellen war der arme Kerl sogar angesengt. "Halt dich fest, ich bin gleich bei dir!" Er stöhnte nur als Antwort. An der Bahntrasse waren ein paar Kabel lose. Mit ihnen sicherte ich mich gegen ein mögliches Abstürzen und hangelte mich bäuchlings auf dem Träger entlang. Am anderen Ende, direkt über dem Fluss lag der Kerl bäuchlings wie ich auf dem Träger. Das Ende jedoch schien unter seinem Gewicht langsam nach zu geben. Mit jedem kleinen Riss erzitterte das Material. "Verdammt, halt dich fest und versuch ruhig zu atmen Mann!" - "Ich warte!" Bitte was? Meinetwegen, Alter, rede was du willst. "Ich bin gleich bei dir!" Ich griff nach seiner Hand. Sein Schopf hob sich und er blickte mir direkt in meine Augen. Für einen kurzen Moment War ich wie erstarrt. Seine Augen, ich kannte seine Augen. "Schön, dass du da bist, Luzifer!", "Wer...", doch dass zu fragen blieb mir keine Zeit. Er fing an, lauthals zu lachen und der Träger erbebte und schwanke gefährlich über dem giftigen Fluss. Die Flüssigkeit rauschte plötzlich viel lauter unter uns hinweg und raubte jedes Wort. Der Kerl aber zerfloss vor meinen Augen mit dem Halbdunkel, verschwamm mehr und mehr zu Rauch. Sein Geist legte sich kalt auf meinen und der Rauch hüllte mich ganz und gar ein. Ich schrie, bekam keine Luft und schrie trotzdem. Vor lauter Panik verlor ich meinen Halt und sah nur noch die rauschenden Fluten...
- Wo bist du? - Halt mich! - Wo bist du? - Hier, halt mich! - Ich bin da, nimm meine Hand...
- Zára!
Kein Geräusch.... Kein Wort...
Absolute Stille umgab mich, ich schreckte hoch. Mein Mund war zum Schrei aufgerissen, meine Kehle brannte und meine Lungen pumpten. Ich konnte jede einzelne gespannte Sehne an meinem Hals spüren, das Blut stieg mir ins Gesicht und an meiner Stirn schwollen die Adern, aber es gab kein Geräusch. Ich riss die Augen auf, mich umgab alles verschlingendes Licht. Nur ganz weit vor mir glomm ein kleiner Stern Finsternis. ich konzentrierte mich nur auf den kleinen schwarzen Fleck, versuchte meinen ganzen Körper gegen die Wand aus Licht zu werfen. Dann riss die Mauer. Schwarz sickerte hindurch, trieb Risse ins allumfassende Gleißen wie zerspringendes Eis, überwucherte das absolute Alles wie feinste Spinnweben bis mich absolute Nacht umschloss, Gewebt aus lichtdurstenden Fäden und zäh wie Blut.
- Mondauge!
"Lou! - Verdammt, LOU!!!" - "Scheiße, haltet ihn doch fest!" - "Er reißt sich los!" - "Was zum Henker ist das an seinem Rücken? Zieht ihm den Mantel aus!" - "Wartet, er hat aufgehört..." - "Jim?" - "Lou!"
Mir kam alles so vor, als wäre ich auf irgendeinem Drogentrip. Geräusche drangen von weit her, Licht und Farbe verschwammen vor meinen Augen. Konturen aber konnte ich scharf wahrnehmen. Ich ließ mir aufhelfen, mit hängendem kopf und kam schwankend zum stehen. "Los, weiter!" - "Was ist passiert Lou?" - "Nicht jetzt, der Krieg wartet nicht auf uns!" - "Wie du meinst."
Die Schleuse lag noch gute hundert Meter vor uns. Die Truppen hatten sich verbarrikadiert. Was war da los? Eigentlich sollten sie auf uns warten. Wir liefen weiter. Verdammt, wo waren unsre Männer? Etwas in mir rang nach Luft... Noch 50 Meter, man sah niemanden. Keine schatten, nichts. Wo zum Teufel... noch 20 Meter. "Verdammt, das ist eine Falle! JIM!!!" Wir hatten kaum Zeit, in Deckung zu gehen. Sie fielen wie Heuschrecken über uns her. Die Luft brannte von den Laser- und Teslakanonen. Verirrte Blitze zuckten durch den Tunnel und schlugen irgendwo zwischen uns ein. Um uns herum schrie der Krieg in all seinen Lauten. Keine drei Meter vor mir sah ich die Schleuse. Die anderen waren weiter hinten und versuchten sich mehr schlecht als recht hinter den bereits Gefallenen zu verbarrikadieren. "Ich geh rein, bin fast da!", rief ich "Du musst das aufhalten!" hörte ich Jim hinter mir.
Ich warf mich mit der Schulter gegen einen Angreifer, rammte einem anderen den Kolben meiner Teslakanone in den Magen und feuerte eine Salve elektrischer Entladungen um mich ab. Zischend und brutzelnd fielen drei Männer direkt neben mir. Es stank nach verbranntem Fleisch. Krachend stieß ich die Tür auf. Dahinter war ein gedrungener Gang sichtbar. Links waren Türen aus ihren Angeln gerissen, rechts prangte ein Meer aus Glasrohren im Weltraum. Geduckt rannte ich an den Fenstern entlang und erreichte die Schleusentür. Golden pulsierte dahinter die Stadt, hinter mir verschlang die Finsternis die Schreie der anderen. "Du musst es aufhalten!", klang es noch in meinen Ohren. Ich öffnete die Schleuse. Goldenes Licht schoss wie ein Wasserfall in den Gang, spülte mich mit sich, wie ein reißender Strom.
- Breite deine Schwingen aus, Dämon! - Ich bin ein Drache! - Flieg
Ich stieß mich ab...
- Er bringt dir den Tod! - Ich kannte ihn. - Er hat auf dich gewartet. - Der Graue Storch. Ich dachte, er hätte mich damals... - Nein. Flieg, du musst es endlich beenden! - Wirst du bei mir sein? - Ja
Die Stadt wuchs vor mir auf. Goldene Türme stiegen in gewaltige Höhen, verloren sich im rauchschwangeren Nebel der künstlichen Atmosphäre. Irgendwo in ihrem Inneren würde ich den Frieden finden, nachdem sie alle suchen. Dort, irgendwo... Hinter mir verschlang die Finsternis das goldene Strahlen, trank das Licht aus und verschloss die Vergangenheit.
- Zára
Luc |