Ein wahres Wunder
Als Kind erlebst du Weihnachten in einem Lichtertraum. Glaubst es kaum – aber eben doch. Der Tannenbaum mit seinem Schmuck; er blendet dich. Die Pakete sind ein Wunder.
Eines nach dem anderen, du kannst dein Glück kaum fassen, obwohl du es in deinen kleinen Händen hältst.
Später dann - du bist groß geworden, überragst die Eltern schon - willst du alles nur durchschauen. Und, während die Erwachsenen baden in Gänsebraten, Christstollen und Kaffee, da trollst du dich mit den Geschenken, von denen du bereits wusstest.
Weißt nicht genau woher der Frust. Ahnst es liegt daran, dass die Gans geschlachtet werden musste nur für diesen Abend. Wirfst deinen Eltern vor, dass längst vergessen wurde, wer überhaupt gefeiert wird. Findest deine Mutter hässlich der wichtiger Stress ins Gesicht gemeißelt ist und ihr einen harten Zug um den Mund reißt, während sie feierliches Ambiente schafft. Bist deinen Vater über, der nach dem Verdienen des Geldes für deine kostspieligen Wünsche eigentlich nur noch in der Ecke liegen und seine Ruhe haben will.
Gibst nichts um die Verwandten, die du lange nicht gesehen hast sondern entschuldigst dich mit fadenscheinigen Kopfschmerzen…der Stress in der Schule. Und verpennst lieber den Rest des heiligen Abends mit vierhundert Songs auf deinem neuesten Was-immer-Player.
Noch später – Zeit macht weise – die eigenen Kinder blicken dich an.
Erwarten deine Verzauberung, den Lichtertraum von damals, den Tannenbaum mit Schmuck.
Das Wunder für sie hast du am Vorabend in die Pakete gelegt. Und leise, noch während sie es auspacken…mit leuchtenden Augen…gespannt was darinnen ist…kullert aus deinen eigenen Tiefen, eingewickelt in Altpapier, das zu entsorgen ist, in Geldscheine, die es für das Fest zu verdienen gilt und all die Verträge, die dein Leben absichern sollen…eine kleine goldene, gläserne, leuchtende Weihnachtskugel. Sie rollt zu deinen Füßen hinab.
Du hebst sie auf. Betrachtest sie. Polierst sie mit dem Ärmel deines weißen Hemdes.
Und ihr Glanz scheint leise in deinen Augen wider.