Ein Tag im September
Verkatert aufgewacht, die Vorhänge ließen schon einige Strahlen der Nachmittagssonne in mein Zimmer. Ich versuchte irgendwo den Radiowecker zu erspähen, um mich zu vergewissern: ich war in meinem Zimmer, es war gestern spät geworden, wie jeden Tag, fast keine Kopfschmerzen.
Der Fernseher lief noch, ohne Ton – mal wieder über den Angeboten von mehr oder minder seriösen Telefonseelsorgeinstituten (Spiel mit mir, Spritz auf meine Titten, Heiße Boys aus meiner Umgebung) weggesackt, mal wieder nicht nüchtern gewesen, egal. Mal sehen was im Videotext steht. Ah ja, Unfall auf der Autobahn, Vergewaltigung und Arbeitslosigkeit, irgendwas in Amerika. Na toll, mal wieder nur Mist in der Glotze.
Was geht da in Amerika? Sieht ja aus wie eine Reklame. Krass. Die Piloten waren besoffen und haben gewettet, zwischen den New Yorker Türmen entlang zu fliegen? Kann gar nicht sein. Zapp zapp. Irgendwo muss doch Takeshis Castle laufen, und ich lache ja so gerne über die mehr als lächerlich kostümierten und um keine Peinlichkeit verlegenen Japaner, die sich in Gruppen von bis zu 150 Mann von einem obskuren, aber durchaus ernst zu nehmenden General in bunten Hosen durch einen Hinderniskurs mit einer Menge Fallen, Löchern und anderen Gemeinheiten hetzen lassen, um die Burg des Fürsten Takeshi zu erobern. In 10 Etappen wird die Zahl der Angreifer von den Truppen des Fürsten größtenteils dezimiert, so auf etwa 3 bis 7 Teilnehmer, und im Finale dürfen die übrig gebliebenen Kostümträger dann auf verschiedene Art und Weise versuchen (meistens gibt es die Variante mit den fahrenden Gestellen und den Wasserpistolen, mit denen es eine Scheibe aus etwas, das eine Ähnlichkeit mit Kaffeefiltern hat, zu treffen gilt und zu durchlöchern, denn dann haben die Angreifer gewonnen) die Burg zu erobern. Das klappt in 98 Prozent der Sendungen nie, ist aber durchaus unterhaltsam – und das Kampfgebrüll der Japaner unterstreicht auf subtile Weise die Szenerie und fördert das Anspannen der Gesichtsmuskeln. Was ist los, zum Teufel? Zapp zapp.
Schon wieder Amerika oder was? Hm, mal sehen. Sieht Scheiße aus, in dem Flugzeug hätte ich nicht gerne gesessen. 20 Kanäle, mal durchschauen. Volksmusik, Talk, Amerika, Nachrichten, Talk, Cartoons, MTV zeigt nur Müll, Viva sowieso, New York, ah ja, CNN, sehe ich da wirklich gerade tausende von Menschen sterben oder was zur Hölle ist da eigentlich los? Mal hinsehen und zuhören... Bitte was? Angriff? Absturz? Pentagon auch? Da kann wohl jemand Amerika überhaupt nicht leiden oder wie? Duschen. Kaffee und ein befriedigender Morgenschiß. Mal beim Araber nebenan klopfen. „Nichts ist unmöglich, Afghanistan!“ High Five. Toufan scheint die Lage Amerika schon einige Minuten länger als ich verfolgt zu haben, und wir sitzen auf seinem Sofa, trinken Kaffee und hören Peter Klöppel zu, der uns mit hochgezogenenen Augenbrauen etwas erzählt, Terrorangriff, live on Air, wie ist die Lage in New York, Herr Sowieso? Der Kaffee ist fantastisch und weckt meine müden Knochen auf, ich schenke nach. Toufan auch? Klar!
Zapp zapp.
Zapp zapp.
Zapp verfluchte Scheisse das läuft ja überall! Mal sehen was das Internet sagt. Bild.de verkündet etwas über Fussball, nackte Tatsachen, Dieter Bohlen hat immer noch die Estefania zwischen den Beinen, und hier steht es ja – Action, Spaß und Abenteuer, Terrorangriff auf die USA, entführte Flugzeuge ins WTC gesteuert, Flugzeug stürzt auf Pentagon, Absturz in der Nähe von Brainwashington DC, wo ist die Kavallerie? Tausende Tote, beide Türme eingestürzt, ach was das kann ja gar nicht sein. Warum ist das Fuck-Internet eigentlich noch langsamer als sonst?
Telefon.
Ey, mach mal CNN an, da... Jaja weiß ich schon, sieht heftig aus.
Nochmal Telefon. Mein Vater.
Wie ist das jetzt mit deiner Zukunftsplanung?
Jaja, New York, schlimm schlimm. Da stecken bestimmt Deutsche dahinter, ist viel zu gut geplant.
Aha.
Klick, zapp zapp.
America under Attack – Trademark by CNN.
Uneingeschränkte Solidarität. Ach so, Herr Schröder.
Hamburg. Immer wieder Hamburg.
Atta. Al-Shehhi. Bin-Laden. Florida.
Klick, zapp zapp.
Schwarzer Tag für Viva.
Betroffenheit überall, mal echt, mal geheuchelt.
Auch ich bin heute ein Amerikaner.