wie romantisch-reloaded
Heut' habe ich frei, bin frei, mir schlendernd ein nettes Plätzchen zu suchen, um einen morgendlichen Kakao zu trinken-mit Sahne-, diesen Tag in angenehmster Weise zu beginnen. Das Wetter reicht weder zum Leben noch zum Sterben, im Schatten friert es einem, in der Sonne möchte man sich die Kleider vom Leib reißen, na, man hat ja immer was zu meckern. Unser liebes Kreuzberg bietet eine Vielzahl solcher Ich-beginne-den-Tag-mit-Bedienung-Plätze, ich wähle, nehme vor dem Laden Platz, an Biertisch, auf Holzbank und werde eins mit dem Publikum, welches entweder gezwungener Maßen oder aber fröhlich unbeschwert früher aufgestanden war als ich. Zum Teil sitzen Paare, Freundinnen, vereinzelt auch ergänzt durch Freunde, plaudernd beim Frühstück, rechts von mir ein etwas verschroben wirkender 68'er bei seiner Form von Frühstück- einem halben Liter hellem Weizen- aber eben auch arbeitendes Volk, vor kleinen aufklappbaren Bildschirmen sitzend. “Birne“ heißen die Dinger soweit ich weiß. Selbst besagter 68'er hat ein solches Exemplar vor seiner Nase, nur ist er der einzige, der wohl nicht daran „arbeitet“, jedenfalls fehlt ihm jener konzentriert angespannte Ausdruck im Gesicht, möglich: es könnte am Bier liegen.
Als mir bewusst wird, daß ich wortwörtlich umzingelt bin von kleinen Flimmerkistchen, ich glaube ich zählte insgesamt sechs in unmittelbarer Nähe, schaffe ich es nicht ein Gefühl des Unwohlseins, ja der Beklemmung zu unterdrücken und in mir erwacht die Frage nach dem mir so beliebten Stift und dem immer(!) dankbaren Papier und schon sind meine Augen dabei meine heute gewählte Gesellschaft zu überfliegen, auf der Suche nach einer Ausnahme, dem Ausweg, meiner romantischen Sicht des Schreibens. Zugegeben: lange gesucht. Aber: gefunden!
Tatsächlich da sitzt sie. Nach meiner romantischen Suche, neige ich wahrscheinlich dazu sie romantisch zu glorifizieren, sie zu meinem romantischen Ideal empor zu heben. Macht nix!Meins!
Sie entspricht ihrer Erscheinung nach nicht meiner Vorstellung meiner Traumfrau, doch was meinen Blick an sie heftet sind ihre Augen, natürlich untermauert von erforderlichem Stift und Papier. Das Blatt mit der linken in seiner Zusammenarbeit mit dem Wind zu bändigen, dreht die rechte Hand den, zwischen den Lippen steckenden Stift sehr langsam, verharrend, dann in entgegengesetzter Richtung. Zurück zu den Augen, sekundenweise durch vorbeigehende oder auf Fahrrädern -fahrenden Menschen erwacht, unterbrochen, versinken sie immer wieder in trance-, bzw. traumähnlichen Zustand, um irgendwo im nirgendwo ihrerseits zu suchen, nach Worten, die wenn gefunden, mit leichtem Lächeln in den Mundwinkeln, auf dankbarem Papier festgehalten, nein, niedergeschrieben werden. Festhalten tun wohl alle anderen, in aller angestrengt, Runzeln fördernder Form. Nein meine Auserwählte schreibt sie nieder und ich denke kurz darüber nach wie es wohl aussehen würde, hielte sie anstatt des Stiftes einen Federkiel, verwerfe den Gedanken aber wieder aufgrund überlasteter Romantik.
Eine gute Stunde genieße ich den Anblick und die damit verbundene Ruhe, ist mir die Schreibende eben jene, ja ein Ruhepol für meine Augen und Empfindung, mich in letzter Sekunde, vor in mir wachsender Beklemmung, rettend. Doch damit sollte es unverhofft und plötzlich vorbei sein.
Runzeln! In meiner Auserwählten Gesicht!Gestört in ihrer Andacht, wenn nicht sogar verärgert zeigt nun ihr Blick in Richtung ihres benachbarten Tisches, ich folge ihm. Dort steigerte sich der, angespannt auf das Flimmerkistchen gerichtete, Ausdruck eines Studenten in Rage, ob der Tatsache das nun auch noch der Reservestrom seines Rechners aufgebraucht und alle verfügbaren Steckdosen bereits belegt waren. Fluchend und resignierend zugleich klappt er seine Birne zu. Die Augen meiner Angebeteten geben ein Verstehen zu verstehen gefolgt von einer Sekunde Triumpf, um dann wieder jene Ruhe zu finden, die sie im Aufstehen mit einer Prise Güte garniert. Leicht vornüber gebeugt bietet sie dem Verzweifelten Stift und Papier. Ich denke mir: Wie romantisch! |