Kindheitserinnerung an Russland>>Wo ist Opa?<< >>Opa ist draußen, die Hühner füttern<< sagte Oma. Opa war mir, solang ich denken kann, sonderbar vorgekommen. Er sprach nicht viel und wenn dann nur in kurzen Sätzen, mit, Rauch aus Jahrzehnten, belegter Stimme. Falls er überhaupt etwas sagte. Auf Fragen antwortete er >>Jau!<< oder aber >>Ach wat!!<<, und es gab Äußerungen der Verwunderung wie, >>Kerl, Kerl!<<, wobei er ungläubig den Kopf schüttelte, oder aber der Rage >>Dieso Bengel, dat is en deiwel!<<, damit war ich gemeint, als ich Opas Liebling, den Zwerghahn eines Tages quer über die Wiese gejagt hab, weil der mir kurz zuvor klar gemacht hatte seinen Hühnern nicht auf die Pelle zu rücken, indem er mir spontan ins Gesicht sprang. Das hatte Opa allerdings nicht gesehen und so rannte, vorweg der Hahn, dann ich, mein Opa hinter mir her, wild gestikulierend und immer wieder rufend: >>Lass en Zippel, komm da bei wech!!<< Zippel war schneller, ich bereits mit etwas anderem beschäftigt und Opa aus der Puste aufgrund der Raucherlunge. Bei seinen Tieren hörte sämtlicher Spaß auf. Also Spaß passt vom Wort her nicht, denn wenn auch nicht böse, ein spaßiger Mensch war Opa nicht. Einzig in Gegenwart seiner Tiere zeigte sich ein weiche Oberfläche in seinen von Nikotinkonsum gezeichneten und von Falten umrunzelten Augen. Dort konnte man ihn auch reden hören ,was sich in einem , in seiner Wiederholung und tiefen Tonart fast hypnotisch wirkenden Mantra der Beruhigung in Form von >>jaaa, jaaa<< und >>kommaher, kommaher<< in all seiner Güte äußerte. Er sagte das immer sehr langsam und mit tiefer rollender Stimme. Meist sprach er jedoch nicht. Opa saß oft am Kopfende des Tisches im Wohnzimmer, vor sich eine Flasche Wein und eine Flasche Mineralwasser, mit der er den Wein mischte, eine Rot Händle ohne Filter rauchend. Manchmal durfte ich ihm eine Packung oben , bei der Gaststätte “Zum Märchenwald“ besorgen, was ich gerne für ihn tat. An Opa war nämlich schwer ran zu kommen. Ich erinnere mich daran, wie ich eines Nachmittags ins Wohnzimmer kam und sich mir dies gewohnte Bild zeigte, Opa am Kopfende des Tisches, mit übereinander geschlagenen Beinen, etwas nach vorn gebeugt, den rechten Arm quer über das linke Knie gelegt , der linke Arm mit der Hand, welche die Zigarette hält auf dem Ellenbogen dort aufgestützt, wie er lange die Glut seiner Zigarette beobachtet bevor er an ihr zieht, um danach Sekunden lang durch den Rauch in die Leere zu starren, ehe er mich bemerkt. Dieses Bild machte mir bewusst, das er dort “allein“ saß, obwohl sich doch Oma nur wenige Meter entfernt in der Küche befand. An diesem Nachmittag hieß er mich zu sich zu kommen. Ich setzte mich neben ihn und er bewies mir das er sehr wohl ein spaßiger Opa war. Er umschloss mit der rechten Hand den linken Daumen, hob die Augenbrauen zu einem wichtigen Blick und versuchte so die Spannung zu steigern. Nicht nötig, die befand sich schon auf ihrem Zenit, wenn der Opa sich so direkt mit einem beschäftigt, ja, denn an Opa war schwer ran zu kommen und kam es tatsächlich dazu, dann war man aufgeregt. >>Tik man tau, dann geit das lous!<< sagte Opa, zählte bis drei und riss sich vor meinen Augen den Daumen ab! Der Fachmann weiß sofort bescheid. Alter Trick. Was da als vermeintlich abgerissen, zwischen Zeige- und Mittelfinger wackelt und zappelt ist nur der Daumen eben derselben Hand und den Daumen, der vermeintlich abgerissen wurde, knickt man ein, so dass es aussieht als fehle das oberste Glied. Bei meinem Opa gestaltete sich diese Erkenntnis trotz sorgfältiger Analyse allerdings etwas komplizierter. Tatsache war, nachdem auch der wackelnde, zappelnde Daumen ohne jeden Zweifel als an die rechte Hand gewachsen und dort hin gehörig von mir identifiziert werden konnte, dass, so sehr ich auch suchte und betastete, das oberste Glied des linken Daumens fehlte. Da war er mir wieder ganz sonderbar, mein Opa. Erst viel später wurde dieses Rätsel gelöst, als meine Mutter mir erzählte Opa sei in russischer Gefangenschaft gewesen. Dort habe er auch bei einem Arbeitsunfall den linken Daumen verloren und darum rede er auch nicht soviel und darum trinkt er auch gern mal einen Wein und darum mag er die Tiere so sehr und darum ist er auch oft allein. Mein Opa. >>Krieg ich auch was zum füttern??<< >>Joo, kumm man hea, hier hasd was, un nu lauf man,lauf.<< sagte Oma und ich rannte raus, dem Opa hinterher, um die Hühner zu füttern, um ein Mantra zu beten. |