Gespielte Betroffenheit
Was für ein beschissener Tag. Meine Momentane Art und Weise mein Leben zu führen verlangt mir einiges ab. Ja ich jammere, aber Fresse jetzt, ich muß kotzen.
Ich bin nunmehr seit drei Tagen in einer mir fremden Wohnung, um sie auszuräumen. Entrümpelung heißt das in Fachkreisen, ja ich arbeite. Warum ich so etwas mache?! Nun, mein Vater sagte, es sei meist brotlose Kunst sich der Kunst zu verschreiben. Also bin ich brotloser Künstler geworden, vielleicht so eine Art Trotzreaktion, weil er so hart war und ich so gerne jammere. Künstler also. Künstler, Kunst, na ja, wer derartiges versucht zu definieren gehört größtenteils erschossen, aber feststellen läßt sich, das ich, ab einem bestimmten Alter, der Meinung war, ich müsste Texte verfassen, mich mindestens einmal die Woche mit meiner Band treffen um zu proben und meinen Lebensmittelpunkt in diesem Bereich setzen, um dann in selbst gewählter Armut zu leben und dieses Lebenskonstrukt durch Gelegenheitsjobs zu stützen, wie eben einem solchen, den ich gerade ausübe. Anderer Leute Leben wegräumen.
Eigentlich bin ich in dieser Firma als Maler angestellt. Na, sagen wir als Malerhelfer, habe ich doch diesen Beruf nicht ausgelernt, sondern ziemlich genau mittig der Lehrzeit abgebrochen, bzw.: Ich hatte die Schnauze voll, mich, nachdem meine erste Firma, in der ich die Lehre begann, die Hufe hoch gerissen hat und mich an eine zweite weiterleitete, von einem Vollidioten mit Alkoholproblem maßregeln zu lassen.
Eh ich dir die Nase breche verlasse ich den Raum, kannst ja mit raus kommen.
Um zum Wegräumen anderer Leute Sachen zurückzukommen. Meine jetzige Firma scheint die große Krise, die uns studierte Bänker eingehandelt haben, wohl ebenfalls erwischt zu haben. Jedenfalls beschränkt sich das Arbeitsangebot nun nicht mehr nur auf Malerarbeiten und so kommt es, daß ich eines morgens den Schlüßel in ein Türschloß stecke und mir Zugang zu einer völlig intakten Wohnung verschaffe. Die Flurwände schmücken drei große Fotos. Eine Tochter, einen Sohn, und eine Frau, ein Baby auf dem Bauch, in einem Bett liegend. Links der Eingangstür , eine Kommode , dort legte bisweilen der eigentliche Bewohner seine Schlüßel ab, um dann seinen Regenschirm in die dafür vorgesehene große Vase zu stecken und ins Wohnzimmer einzutreten.
Mein Arbeitsauftrag lautet für heute: Alles in blaue Säcke packen und nach draussen auf einen Hänger schleppen, groß Reine machen, Ratzekahl.
Sowohl das Mobiliar als auch die weitere Einrichtung sind der Norm entsprechend, Kaufhaus-Bestellkatalogware von Schrankwand über den Wohnzimmertisch, bishin zur Schlafzimmereinrichtung. Die Abstellflächen der Schrankwand sind mit einer Vielzahl von Dingen vollgestellt. Tünnif, würde meine Mutter sagen, Bierkrüge, Dekogläser, Portraitsfotos der Familie, eine Schale unbehandelten Bernsteins, wahrscheinlich während einer Reise selbst gesammelt. Wieder Fotos der Kinder an den Wänden und vier große Fotos eines Sees mit herrlich blauem Wasser. Bulgarien schätze ich.
Völlig intakt war übertrieben.Auf den zweiten Blick fällt mir die Eckcouch in Zusammenhang mit dem davor stehenden Tisch auf. Komplett zugemüllt. Der Lebensradius des hier vor kurzem noch vegetierenden Menschen betrug ca. anderthalb Meter. Essensreste, benutztes Geschirr, überfüllte Aschenbecher, Tabakkrümel auf Tisch und Boden, Tupperware mit undefinierbar organischem Inhalt, leere Kippenstummel aus deren letzten Fizzelchen Tabak sich noch eine weitere Kippe drehen ließ, Zeitungen, leere Bierflaschen und Flachmänner, eine Pornozeitschrift und wie ein Sahnehäubchen auf der Spitze des Müllbergs eine Geburtstagskarte mit der Aufschrift:
„Alles gute zum 50. Geburtstag,
..melde dich doch bitte mal wieder.
Mutti.“
Meine erste Reaktion: Ich bin angewidert. Dieser Zustand will sich auch nicht verbessern als ich dem Muff der Wohnung Luft mache, indem ich die Balkontür öffne und auch nicht als ich mit ein paar Schritten im Badezimmer ankomme und einen Haufen vollgeschissener Jeanshosen vorfinde. Und ich meine vollgeschissen. Der Typ hat sich in mindestens vier Hosen komplett entleert und ja, ich werde diesen Haufen Scheisse wegräumen dürfen. Entschuldigung, entrümpeln natürlich.
Ein Blick ins Schlafzimmer läßt darauf schließen, man(n) schlief hier allein und der braune Schmierfleck an der Wand belegt, Suff läßt sowohl den Arsch als auch die Balance unkontrollierbar werden. Der Typ muß hier mehre Abende lang wahre Scheiss-orgien veranstaltet haben. Nachdem er besoffen auf dem Lokus wach wurde hat er sich wahrscheinlich mit der blanken Hand den Arsch gewischt und hat sich gerade noch bis in sein Bett schleppen können, in dem er, natürlich nachdem er die Wand aufgrund von wackligen Beinen versaute, laut schnarchend seinen Rausch ausschlief.
Ich entledige mich einem Stoßseufzer und beschließe erst einmal eine zu rauchen. Ich schlendere zurück ins Wohnzimmer ,während ich mir eine Zigarette drehe. In der Schrankwand finde ich mehrere Fotoalben und nach kurzem Blättern kenne ich im Großen und Ganzen einen vagen Abriss eines gelebten Lebens. Dieses Leben war von Arbeit geprägt. Hier ein Foto mit Öl verschmierten Arbeitskollegen vor einer Riesigen Turbine, ein anderes bei einer Pause im Blaumann, die Stulle mit schmutzigen Händen in die Kamera haltend, aber glücklich. Bilder von geselligem Beisammensein im Schrebergarten, einander anlachende Personen beim Feiern, Hochzeitsfotos, Krankenhausfotos des Erstgeborenen, ein Portrait der Eltern, Bilder seines Zweiten Kindes, seiner Tochter, er selbst als stolzer Vater. Urlaubsbilder, Bilder eines ganz normalen Lebens ohne große Wünsche, arbeitsam und bescheiden. Dennoch schleicht sich ein ungutes Gefühl in jene Fotoidylle. Es scheint als würde der Typ, der nun ein Gesicht hat von Bild zu Bild immer mehr zerfallen. Sein einst normales Aller-Welts-Gesicht verändert sich mehr und mehr bis einem zum Schluß der Alkohol unnatürlich und entfremdet entgegen grinst, krank und zu einer Fratze verzogen.
Ich finde Lohnzettel. Eine ähnliche Entwicklung wie die seines Gesichtes. Ein paar Jahre bei einer GmbH, wohl als Maschinenbauschlosser, ein paar weitere bei einer kleineren Firma, dann folgen einige Zeitarbeitsfirmen und schließlich lese ich die Belegscheine verschiedener Lesezirkel für die er wohl in den letzten Jahren Zeitungen austeilte.
Ich beschließe noch eine zu rauchen und noch einen Stoßseufzer loszuwerden.
Wenn jemand verstirbt, denke ich, dann steht bei einer solchen Räumung sicher der ein oder andere Angehörige im Raum, um das ein oder andere vor dem Müll zu retten, als Andenken bzw. kleines Erbe sozusagen. Sicher gibt es auch Todesfälle wo dies nicht der Fall ist. Doch hier ist niemand gestorben, sondern vor die Hunde gegangen. In der nächstgelegenen Kneipe, in der ich meinen Kaffe in der Pause trinke, werde ich noch zu hören bekommen, das man ihn kenne, er Micha hieße und erst Montag noch Eier bestellt hätte, die wöchentlich geliefert werden. Gespielte Betroffenheit und dem Herren an der Theke ein Bier gezapft. Ja, wenn man ihn heute noch sieht würde man ihm bescheid geben, eventuell käme er, um persönliche Sachen vor dem Müll zu retten, eventuell der Kinder- und Hochzeitsbilder wegen.“Und den Fernseher?! Schmeißen sie denn etwa auch weg?“
Micha kam nicht, auch nicht der Bilder wegen.
Am ersten Tag der Entrümpelung, ging ich nach Feierabend mit einem mulmigen Gefühl nach hause, ob der Tatsache, das es nur an die fünfzehn blaue Säcke braucht, um ein Leben restlos auszulöschen, fünfzig Jahre , dem Alkohol verfallen. Außer gespielter Betroffenheit bleibt da nichts sichtbares oder gar hilfreiches. Aber hey, es ist halt ein Job und selber schuld..oder nicht?!Fuck!!
Ich fühl mich elend und meine Gedanken kreisen noch um Micha kurz bevor der Schlaf mir die Lampen auspustet, was für ein scheiss Tag.