Die Reise in den SüdenMein liebes Kind, heut fiel deinem Papa eine schöne neue Geschichte ein. Da sie mir einfiel während ich an Dich dachte, möchte ich sie auch Dir, wenn auch nur in Kurzform, zuerst erzählen/schreiben.
Wie eigentlich immer, wenn ich intensiver über Dich nachdenke, geht es um mir wichtige Dinge Dich betreffend, Dein Leben betreffend,doch genug geschwafelt, auf zur Geschichte.
Mir fiel eine Art "Metapher"(schlag's nach!) zum Leben ein: Die Reise in den Süden. Wir alle, also alle Menschen, wollen, dass es uns im Leben gut geht.Umso mehr wollen bzw. wünschen wir uns das, wenn es uns eben mal nicht so gut geht. Obwohl das zu ändern eigentlich fast immer leicht ist, wir es nur nicht anfangen zu tun: es zu ändern. Ich vergleiche das mal folgendermaßen: Wenn du an einem Ort bist, an dem es immer kalt ist,hast du drei Möglichkeiten. Erstens: Du frierst, beklagst dich darüber..und frierst weiter, frierst, klagst, frierst, klagst und so weiter und so weiter. Zweitens: Du frierst, beklagst Dich darüber, lernst stricken und strickst Dir was warmes zum Anziehen.(Heutzutage wird man sich wohl eher was zum Anziehen kaufen ;) Oder aber Drittens: Du frierst, klagst,strickst und es ärgert Dich das die selbstgestrickten Sachen manchmal kratzen. Dabei fällt Dir dann ein, Du könntest mal eine Reise in den Süden unternehmen, wo es häufiger warm ist, so dass Du mal eine Zeit lang nicht frierst und nichts warmes zum Anziehen benötigst. Diese Reise in den Süden, sie soll nun mein Vergleich zum Leben sein, pass gut auf, dass du alles verstehst!
Nehmen wir also an, seit Deiner Geburt wird jedes Jahr einmal eine Reise zusammen mit Deinen Eltern unternommen. In Deinem ersten Lebensjahr sitzt Du kleiner Säugling, sicher festgegurtet, in Deinem Babysitz auf der Rückbank, vor Deinen Augen baumelt ein kleines buntes Holzspielzeug, welches am Tragehenkel befestigt ist und dem Du meist Deine ganze Aufmerksamkeit schenkst. Wenn du während der Reise Hunger oder Durst hast quäkst du kurz und schon kümmert sich Deine Mama um dich. Die sitzt nämlich die ganze Zeit neben dir auf der Rückbank, während Dein Papa das Auto fährt und darauf aufpaßt, dass kein Unfall passiert. Nach tagelanger Fahrt kommt ihr endlich im Süden an und du hast nur eins zu tun, die Sonne und ihre Wärme zu genießen und zu spielen.
Ein paar Jahre, und ein wenig mehr an Zentimetern gewachsen, später, geht es wieder auf die Reise. Diesmal hast du keinen "Babysitz" mehr nötig, Du sitzt schon auf einer Sitzschale für etwas größere Kinder und noch etwas ist neu: Mama sitzt vorn bei Papa. Zwar dreht sie sich häufig zu Dir nach hinten, um sich mit Dir zu unterhalten, ja manchmal spielt sie sogar Reisespiele mit Dir, doch die meiste Zeit hilft sie Papa den Weg zu finden, indem sie versucht sich in einer umständlich gefalteten Landkarte zurechtzufinden und Papa zu sagen welche Auf- und welche Abfahrt er nehmen muß. Manchmal streiten sie da vorne sogar deswegen, du aber sitzt hinten, auf deiner Sitzschale, wie eine Prinzessin auf ihrem "Mini-thron", umgeben von Spielsachen, kleinen Leckereien, Deiner Trinkflasche und nicht zu vergessen, dem Seitenfenster. Du bist ja mittlerweile groß genug hinauszuschauen und siehst die sich immer wieder ändernden Landschaften vorbeiziehen.Manchmal löst du den Gurt um besser sehen zu können und gehst damit die ersten Male eine Gefahr ein. Du bist auch groß genug um mitzubekommen, wie es zu Staus kommt bei denen Du Dich in Geduld üben mußt, ehe es weitergeht, genau wie bei den Überschreitungen der Grenzen zwischen den Ländern, wo Papa manchmal mit bewaffneten Zöllnern streitet und ihnen erklärt das sich garantiert keine Schmuggelware im Auto befände-nein das Kind sei nicht gekiddnapped sondern er sei dein Papa, dies die Mama und wie es dann nach langer Diskussion auch endlich weitergehen kann, bis ihr endlich wieder an jenem Fleckchen im Süden ankommt, wo Du endlich wieder die Sonne genießen und spielen kannst wie die Jahre zuvor.
So geht das Jahr für Jahr, Du wächst weiterhin, brauchst nun weder "Babysitz" noch "Sitzschale" und mittlerweile kennst du die Strecke in den Süden fast besser als Mama und Papa zusammen. Immer wieder freust Du Dich auf die Reise und den Süden, die Sonne und ihre Wärme.Mit den Jahren hast Du sogar Freunde kennengelernt die Du dort jedes Jahr wieder triffst, die Dir sehr ans Herz gewachsen sind und mit denen es so manches Abenteuer zu erleben gibt. Du hast während der Reisen auch immer etwas dazugelernt,seien es ein paar Worte einer Dir fremden Sprache oder aber Tiere die es in deiner Heimat nicht gibt oder aber leckeres Essen, dass es eben nur dort im Süden gibt. All das gehört nun in Deinem kleinen Kopf Dir und das freut Dich sehr, denn es fühlt sich gut an und berreichert Dich.
Weitere Jahre später bist Du zu einer jungen Dame herangewachsen, was ein großer Vorteil für Dich ist, denn nun ist es endlich soweit das Du vorn, neben Papa, sitzen darfst.Dort bist du freilich wieder angeschnallt, denn du hast begriffen welche Gefahr lauert, bist du es nicht.Oft genug seid ihr an Unfallstellen vorbeigefahren.Nun bist auch du es, welche die Landkarte auf ihrem Schoß ausbreiten darf, mit Papa streiten darf, während Mama auf der Rückbank sitzt. Und noch einen Vorteil gibt es: Statt nur aus dem Seitenfenster, kannst Du nun auch aus der Frontscheibe schauen, siehst die endlos scheinenden Strassen, die Rücklichter und Du bist es auch, die das zu erreichende Ziel am Horizont zuerst erkennt.
Bei einer dieser Reisen kommt es aber gleich am ersten Grenzübergang zu einem Problem. Mama und Papa haben vergessen Deinen Reisepass zu erneuern, der ist abgelaufen und die Grenzpolizisten weigern sich strikt euch weiterfahren zu lassen. Das erste mal bei all euren Reisen mußt du entäuscht und niedergeschlagen damit zurecht kommen das du in diesem Jahr weder die liebgewonnenen Freunde treffen, die erlernte Sprache hören, die bewundernswerten Tiere sehen, noch das so leckere Essen schmecken wirst.Und auch das Trösten deiner Eltern will das jämmerliche Gefühl in dir für zwei Wochen nicht verschwinden lassen ehe dir etwas bewußt wird:Es lag an Dir, Du wusstest es vorher, hast Mama dazu überredet sie brauche den Pass nicht in die Schublade zu den Pässen deiner Eltern legen denn Du würdest ihn bis zur nächsten Reise in Deinem Zimmer aufheben und zwei Tage vor der Abreise hast du sogar gesehen das auf dem Pass ein abgelaufenes Datum stand, dachtest aber es sei nicht so wichtig und es würde schon klappen. Also was solltest du tun, nachdem die Reise nun so ein jähes Ende nahm? Ganz einfach: Einsehen das du in Deiner Reisevorbereitung etwas vergessen hast, zusehen das du das Problem, welches Dir im Weg stand,behebst und aus der Welt schaffst, um dann im nächsten Jahr erneut die Reise anzutreten. Das kannst nur Du, du allein.
Ach ja und nebenbei: Im nächsten Jahr bist du übrigens volljährig.Dann wirst Du noch etwas allein tun. Das Auto steuern!Und Mama wird Dir die Karte lesen und Papa wird nach hinten verfrachtet-da hat er nichts zu meckern!
Du mein liebes Kind.
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